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Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Titel: Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. Gilbert Welch , Lisa M. Schwartz , Steven Woloshin
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Lungenkarzinoms bestand. Ich würde entgegnen, dass wir die Ursache der Heiserkeit gefunden hatten und daher nicht nach einer zweiten Krebserkrankung suchen mussten. Aber der Zug war bereits abgefahren. Obwohl Mr. Bakers Lungen gesund aussahen, war der Radiologe besorgt wegen einer möglichen Erweiterung des Mediastinums (des Mittelfells zwischen den Lungen). Da eine Erweiterung ein Krebssymptom sein konnte, empfahl der Radiologe eine CT des Brustkorbs.
    Die Schichtaufnahme zeigte ein normales Bild. Der Radiologe schloss daraus, dass das Mediastinum in Ordnung war und dass er das Röntgenbild falsch gedeutet hatte. Allerdings erfasste die Schichtaufnahme auch einen Teil des Unterleibs. Da die Lungen hinten tiefer reichen als vorne, müssen alle CT-Schichtbilder des Brustkorbs einen Teil des Bauchraumes einschließen, damit die Lungen vollständig geröntgt werden. Teile der Leber, des Magens und der Nieren wurden erfasst. Und an der rechten Niere befand sich ein Klumpen in der Größe eines Golfballs. Es war fast mit Sicherheit Krebs. Das war eine Überraschung. Ein Patient, der über Heiserkeit geklagt hatte, bekam die Diagnose »Nierenkrebs« gestellt.
    Ich habe diese Geschichte im Laufe der Jahre bei einigen Ärztetagungen erzählt und immer die gleiche Reaktion erlebt: Gelächter. Das soll nicht heißen, dass Ärzte gefühllos sind oder sich über das Unglück anderer freuen. Nein, sie lachen, weil sie solche absurden Situationen kennen. Wir alle waren an ähnlichen diagnostischen Kaskaden beteiligt und sind auf Anomalien gestoßen, die eindeutig nichts mit dem ursprünglichen Problem zu tun hatten. Und wir alle standen vor der heiklen Frage, was wir als Nächstes tun sollten.
    Vielleicht erinnern Sie sich daran, dass ich einmal ein kleines Experiment machte und meine Nebenhöhlen röntgen ließ, obwohl ich keine Symptome hatte. Ich wurde mit der überraschenden Diagnose »Sinusitis« belohnt. Doch überraschende Befunde kommen auch bei Patienten mit Symptomen vor. Sie überraschen uns, weil zwischen den Anomalien und den Symptomen keinerlei Zusammenhang besteht. Der typische Überraschungsfund ist ein kleiner Knoten, der auf einem Schichtbild entdeckt wird – ein Patient bekommt mitgeteilt, auf der Leber, der Lunge oder der Niere sei ein »Fleck«. Solche Knoten können Karzinome sein. Aber sie sind es fast nie. Deshalb nennen Radiologen sie Inzidentalome nach dem englischen Begriff incidentaloma ( incidental bedeutet »zufällig« oder »beiläufig«).
    Die folgenden Beispiele zeigen, worum es geht:
• Eine Frau hatte einen epileptischen Anfall. Bei einer Kernspinuntersuchung wird eine Zyste in einer Nebenhöhle entdeckt. Die Zyste steht in keinerlei Zusammenhang mit dem Anfall.
• Ein Mann ist auf Eis ausgerutscht und lässt sich die Rippen röntgen. Man findet einen Fleck auf seiner Lunge. Der Fleck auf der Lunge hat nichts mit dem Sturz zu tun.
• Eine Frau hat Atembeschwerden. Eine CT wird vorgenommen, und das Bild zeigt einen kleinen Knoten in der Leber. Dieser Knoten hat nichts mit ihren Atemproblemen zu tun.
    CT- und MRT-Schichtaufnahmen liefern viele Überraschungsfunde. Manchmal machen wir eine CT, um den Bauchraum zu untersuchen, und finden etwas im Brustkorb, und manchmal machen wir eine CT, um uns den Brustkorb anzusehen, finden aber etwas im Unterleib. Für die Patienten sind Überraschungsfunde immer das, was ihr Name schon sagt; aber wir Ärzte begegnen ihnen so häufig, dass wir uns nicht mehr sonderlich wundern.
    Es gibt einen Grund für diese vielen Überraschungen: Eine CT enthüllt selbst winzige anatomische Details. Sie besteht nämlich aus einer Serie von Röntgenaufnahmen des menschlichen Körpers, im Querschnitt aufgenommen, wobei die einzelnen Schichten bis zu einem Millimeter dünn sein können. Die typische CT besteht aus fünfzig bis hundert Schichtaufnahmen; es kann allerdings sein, dass der Radiologe nur einen Teil von ihnen prüft. Ein Computer setzt diese Bilder zusammen und projiziert sie auf einen großen Monitor. Der Radiologe kann einzelne Elemente vergrößern und die Helligkeit oder den Kontrast verändern, um bestimmte Organe besser zu sehen. Er erkennt Anomalien, die einen bis zwei Millimeter groß sind, etwa so groß wie die Spitze eines Kugelschreibers.
    Dank der CT haben wir eine Menge darüber gelernt, was im kranken Körper vor sich geht. Sie zeigt uns eine Blinddarmentzündung (Appendizitis), eine Gehirnblutung und eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse

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