Die Dichterin von Aquitanien
sie wohl auch nichts mehr erfahren.
Es ist unwichtig, ermahnte sie sich, und bestieg ihr Pferd. Hunde stürmten heran, und die Knechte des Falkners brachten die Jagdvögel. Aliénor hatte von Raoul de Faye einen großen, silbergrauen Falken geschenkt bekommen. Sanft strich sie über sein Gefieder, während Gracia und Sybil ihre Habichte in Empfang nahmen.
Bald schon ritten sie zum Tor hinaus, durchquerten die morgendliche Stadt und erreichten schließlich die Wälder des Umlands. Die Damen entfernten die Kappen von den Köpfen ihrer Vögel und ließen die Tiere in den Himmel aufsteigen. Marie saß mittlerweile sicher im Sattel. Auch wenn sie das Jagen nicht mochte, gefiel ihr der Ritt im warmen Sonnenlicht. Es mussten die zwei Jahre als Cadells Gefangene gewesen sein, die sie gelehrt hatten, jeden Moment der Freiheit zu schätzen.
Die Jagd verlief zur allgemeinen Zufriedenheit. Knappen banden tote Tiere zu Bündeln, die an Satteltaschen befestigt wurden.
»Bei diesem herrlichen Wetter könnten wir ein Mahl im Freien einnehmen, bevor wir nach Poitiers zurückkehren«, schlug die Königin dem Grafen von Salisbury vor, der seinen Männern sogleich die nötigen Anweisungen erteilte.
Sie erreichten eine verlassene, halb verfallene Burgruine,
wo die Jagdbeute abgelegt wurde. Der Graf von Salisbury befreite sich mithilfe seiner Knappen von Helm und Kettenhemd. Steppdecken wurden auf der Wiese ein Stück von dem Burgtor entfernt ausgebreitet. Die Knappen verteilten ein paar Becher und füllten sie mit Wein. Brot, Käse, Kuchen und getrocknetes Obst folgten. Der dienstbare Graf musste Aliénors Wünsche im Voraus erahnt und Vorräte mitgenommen haben. Die Pferde grasten frei, und die Hunde legten sich nieder. Den Jagdvögeln hatte man die ledernen Kappen erspart, doch wurden sie mit Schnüren an den Ästen eines Baums in der Nähe festgebunden. Voll Wärme streckten sie ihr Gefieder den Sonnenstrahlen entgegen.
»Nun könnte Marie uns eine ihrer Geschichten erzählen«, meinte Aliénor. Marie verstand, dass dieser Vorschlag in Wahrheit ein Befehl war. Gehorsam erhob sie sich, damit ihre Stimme alle Anwesenden erreichen konnte. Sie hatte keinen Text mitgebracht und wühlte in ihrer Erinnerung angestrengt nach den richtigen Worten. Hinter ihr störte das Bimmeln von Glöckchen. Ihr fiel ein, dass die Jagdvögel sie an ihren Füßen trugen, um leichter auffindbar zu sein, falls sie fortflogen.
Die Vögel schienen unruhig geworden zu sein, denn der Klang wurde immer lauter, fast dringlich. Marie zwang sich, ihre Aufmerksamkeit auf die Zusammenstellung der Geschichte zu lenken, und holte tief Luft. Warum mussten die Hunde ausgerechnet jetzt zu bellen beginnen? Dann erbebte die Wiese plötzlich unter dem Donnern von Pferdehufen. Männer in Kettenhemden tauchten so plötzlich auf, als wären sie der Hölle entstiegen, und stürmten mit lautem Gebrüll heran. Jemand packte Marie an der Schulter und zerrte sie weg. Sie sah dunkle Augen durch die Schlitze eines Helms blitzen. Ein Schrei ertönte. Aliénor hatte das Messer,
mit dem sie gerade ein Stück Käse abschneiden wollte, in die Hand des Angreifers gebohrt. Marie wurde losgelassen, fiel wie ein lebloser Sack auf die Steppdecke.
»Das ist ein Überfall! Los, Mädchen, schnell in die Burg«, schrie die Königin. Marie rappelte sich auf. Nervös liefen die Pferde herum, Hunde kläfften aufgebracht und Menschen stolperten durch das Getümmel. Der Lärm war ohrenbetäubend.
»Holt mein Kettenhemd und den Helm! Und bringt mir das Schlachtross!«, brüllte der Graf von Salisbury, in dessen Hand bereits sein Schwert lag. Auch die anderen Ritter versuchten, den Angriff entschlossen abzuwehren, doch machten sie unberitten und ungepanzert keinen vielversprechenden Eindruck. Einigen gelang es, sich auf die Pferde zu schwingen und den Damen eine Weile Schutz zu bieten. Emma war selbst auf einen Zelter geklettert und galoppierte mit wehendem Haar auf die Mauern der Burgruine zu. Aliénor teilte sich ein Pferd mit Isabelle. Besorgt sah sie sich noch einmal um und rief den Nachzüglerinnen erneut zu, dass sie ihr endlich folgen sollten.
Marie wandte sich um. Überall prallten Schwerter klirrend gegeneinander. Hölzerne Schilder wurden von Lanzen gespalten. Ein Stück neben ihr fiel ein junger Mann zu Boden, dem sein Angreifer die Waffe aus der Hand geschlagen hatte. Seine aufgerissenen Augen starrten dem sicheren Tod entgegen. Marie erblickte ein Schwert dicht vor ihren Füßen. Sie
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