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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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die Fensteröffnung. Die Nacht war schwül und duftete nach Sünde. Sie verstand nicht, wie Hawisa an ihrer Seite so tief und friedlich schlafen konnte. Seufzend stand sie auf.

    Emmas Gemach lag gleich neben dem Maries, und bisher waren keine Schritte erklungen, die ihre Rückkehr angekündigt hatten. Marie leerte ein Glas Wasser, dann schenkte sie sich den restlichen Wein ein. Sie brauchte keine Kerze, der Mondschein genügte. Sie versuchte, wieder an ihre Geschichte zu denken, aber die Wirklichkeit wollte sie nicht aus ihren Krallen entlassen.
    Es war gut, sagte sie sich, dass Emma ihre hoffnungslose Liebe zu Guy de Osteilli endlich vergessen hatte. Régnier de Rancon mochte laut und ungehobelt sein, aber er verzehrte sich sicher nicht nach einem Barden. Vielleicht legte er gerade in diesem Augenblick seine Arme um Emmas Taille, presste seine Lippen auf ihren Mund. Bei der Vorstellung verspürte Marie plötzlich ein sehnsüchtiges Kribbeln zwischen ihren Beinen. Sie riss sich zusammen. Was Emma tat, ging sie nichts an. Sie war nicht haltlos und hungrig nach Abenteuern wie ihre junge Tante oder Isabelle, sie war eine Dichterin der Königin, die ihren Platz in der Welt gefunden hatte, sie war … Vielleicht war sie einfach nur feige.
    Marie vergrub ihr Gesicht in den Händen. Warum musste sie sich auf einmal so leer und unzufrieden fühlen, wenn sie doch erreicht hatte, wonach sie sich von Kindheit an gesehnt hatte?
    Vor der Tür waren endlich Schritte zu vernehmen. Und ein lautes Kichern.
    »Nein, Sire, das geht nicht. Meine Zofe würde es ausplaudern.«
    Emma lallte. Sie musste noch mehr Wein getrunken habe.
    »Zofen sind doch verschwiegene Vertraute ihrer Damen«, kam es in der gewohnten Lautstärke von Régnier de Rancon.
    »Meine ist es nicht, fürchte ich. Sie kann mich nicht besonders leiden.«
    Damit hatte Emma recht. Ahnte sie, dass es an den Ohrfeigen
lag, die sie ihrer Jeanne wegen jedes kleinen Fehlers verabreichte?
    »Ein andermal, Sire. Nicht heute Nacht.«
    »Heute Nacht ist die richtige Nacht. Heute Nacht seid Ihr für mich die einzig Richtige.«
    Besonders gut dichten konnte er nicht.
    Eine Weile blieb es still. Dann kicherte Emma nochmals, stieß ein glucksendes »Nein« nach dem anderen hervor.
    »Jetzt ziert Euch nicht so, verdammt!«
    Der Befehlston erinnerte Marie an Cadell. Sie begann zu frösteln und eilte zur Tür. Mit ihrer rechten Hand umklammerte sie einen Kerzenhalter, während sie vorsichtig den Riegel entfernte, um durch den Türspalt zu spähen. Wenn sie Régnier einen raschen Hieb auf den Hinterkopf versetzte, konnte sie ihrer Tante vielleicht helfen.
    Emmas weiße, seidene Strümpfe leuchteten im Mondschein, der durch eine Fensteröffnung in den Gang drang. An einem Fuß balancierte sie noch ihren Schnabelschuh, die Zehen des anderen bewegten sich frei. Ihre Beine waren um die Hüften Régniers geschlungen, der sie gegen die Wand presste. Immer heftiger stieß er in Emmas Körper.
    Marie verspürte wieder das qualvolle Brennen zwischen ihren Schenkeln. Sie packte den Kerzenhalter noch fester, wollte loslaufen, doch dann erblickte sie Emmas Gesicht. Ihre Tante hatte den Kopf in den Nacken gelegt. Ihre Lippen waren leicht geöffnet. Sie strahlte vor Glück.
    Langsam schloss Marie die Tür, legte sich wieder an Hawisas Seite und flehte Gott an, sie endlich einschlafen zu lassen.
     
    »Hat es dir gefallen?«
    Widerwillig öffnete Marie die Augen. Sie sah Emma im Türrahmen stehen. Ihr leuchtend rotes Haar hing in losen
Strähnen bis zu ihren Hüften hinab, und die Schminke war verschmiert.
    »Du hast uns zugesehen. Also, hat es dir gefallen?«
    Der bissige Ton ließ Marie frösteln. Sie stand auf.
    »Nicht hier. Du weckst meine Zofe.«
    Emma lachte auf. Marie schob sie entschieden in den großen Raum und schloss die Tür, um Hawisa in Ruhe schlafen zu lassen.
    »Ich habe die Tür aufgemacht, weil ich dachte, er will dir Gewalt antun«, gestand sie wahrheitsgemäß. »Als ich sah, dass es nicht so war, ging ich schlafen.«
    Emma kicherte nur.
    »Nein, er hat mir keine Gewalt angetan. Er hat mich zur Frau gemacht. Und er wird mich heiraten. Kannst du dir das vorstellen, meine kleine, kluge Nichte? Es gibt Frauen, die nicht nur Bücher lieben. Und die geliebt werden.«
    »Das ist schön für dich«, sagte Marie ausweichend. »Aber jetzt bin ich müde und würde gern weiterschlafen.«
    Emma tänzelte auf schwankenden Beinen im Raum herum. Sie breitete die Arme aus und glich plötzlich

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