Die Dichterin von Aquitanien
Augenblick.
Jean hatte die Lider geschlossen. Sie wollte ihn in Frieden schlafen lassen und musterte nochmals ihre Umgebung. Ein Stück neben ihr auf der Steppdecke entdeckte sie zwei lange, pechschwarze Haare, die weder von ihr noch von Jean stammen konnten. Er war mit einem Freund hier gewesen, hatte er erzählt. Auch Männer konnten langes Haar haben, aber warum hatte der Freund auf der Matte gelegen? Marie wandte den Kopf, um die Strähnen genauer anzusehen. Die Decke roch nach Schweiß und nach süßem Duftwasser, das nur Frauen verwendeten. Eine unangenehme Ahnung stieg in ihr auf. Zwei benutzte Becher auf dem Tisch. An den angenagten Knochen waren noch Fleischreste gewesen, die frisch ausgesehen hatten. Die verbrauchte Luft in diesem Raum …
Jean suchte dieses Zimmer regelmäßig auf, aber nicht, weil er dort allein sein wollte. Bevor er sie hierhergeführt hatte, hatte er mit einem süß duftenden, schwarzhaarigen Mädchen auf der Matte gelegen. Vielleicht hatten sie danach gemeinsam ein Mittagsmahl verzehrt. Anschließend war er losgegangen, um eine liebeshungrige, dichtende Hofdame im Garten zu treffen.
Sie empfand weder Empörung noch Zorn, nur leichte Enttäuschung. Vorsichtig rückte sie von ihm weg. Es war dumm von ihr gewesen, etwas anderes zu erwarten. Hatte es ebenfalls Wetten gegeben, wie lange der schöne Jean wohl brauchen würde, um die mausige Dichterin der Königin zu verführen?
Sie sah dennoch keinen Grund, ihn mit Vorwürfen zu überhäufen. Zumindest hatte er nicht versucht, sie zu belügen,
indem er von einer gemeinsamen Zukunft sprach, sondern ihren Körper zärtlich geliebt. Sie fühlte sich von Cadells verletzenden Worten befreit, als wäre sie zum ersten Mal gründlich gewaschen worden. Jetzt würde sie einfach gehen und dankbar sein für eine schöne Erfahrung. Entschlossen sortierte sie ihre Kleidung, die zerwühlt auf dem Boden lag.
»Willst du schon fort?«, hörte sie Jean schlaftrunken murmeln.
»Ich muss. Die Königin wird mich bald erwarten.«
Sie schlüpfte in die Chemise. Jeans Hände legten sich um ihre Taille. Er vergrub sein Gesicht an ihrer Hüfte.
»Wir waren doch gar nicht fertig. Etwas bin ich dir noch schuldig.«
Seine Finger glitten über die Innenseite ihrer Schenkel und ließen einen heißen Schauer über ihren Rücken laufen. Allein die Erinnerung an zwei schwarze Haare ermöglichte es ihr, sich wieder zu entwinden.
»Es tut mir leid, ich habe keine Zeit mehr.«
Sie stand auf und zog sich den Bliaut über. Ihr Haarkranz war vermutlich zerzaust, aber daran konnte sie nichts ändern. Sobald sie den Gürtel zugeschnürt hatte und in ihre Schuhe geschlüpft war, öffnete sie die Tür.
»Wann sehe ich dich wieder?«, hörte sie Jean fragen und drehte sich nach ihm um. Aus seinen blauen Augen musterte er sie verwirrt, beinahe verletzt. Marie schluckte.
»Ich werde meine Zofe schicken, falls ich wieder Zeit für Euch finden sollte«, erwiderte sie so kalt wie möglich. Dann entschwand sie durch die Tür und ärgerte sich über ihre Tränen, die sie plötzlich blendeten.
3. Kapitel
M it Herbstbeginn kam Aliénors älteste Tochter nach Poitiers. Marie de Champagne hatte die kerzengerade, schlanke Gestalt ihrer Mutter geerbt. Ihr weizenblondes Haar erinnerte Marie schmerzlich an Jean, doch sorgte die Gegenwart der Gräfin für neue Ablenkung. Aliénor ging in letzter Zeit ganz in ihrer Aufgabe als Herrscherin über Aquitanien auf, aber ihre Tochter liebte die Kunst und zeigte sich von Lais sehr angetan. Schnell bildete sich ein Kreis von anhänglichen Gefolgsleuten um die elegante Gräfin. Palastdamen saßen neben Klerikern und Troubadouren in ihrem großen Gemach, tranken gewürzten Wein und knabberten an eingelegten Früchten, während Marie bei musikalischer Begleitung ihre Geschichten vortrug. Ihr Name wurde nun in einem Atemzug mit dem Bernard de Ventadorns genannt. Sie blühte auf. Die kurze Zeit mit Jean in dem hässlichen, verschmutzten Raum hatte ihr Inneres aufgewühlt, doch allmählich fand sie wieder Frieden.
Es war der erste wirklich kalte Tag. Marie hatte die Fensteröffnungen schweren Herzens abgedeckt, denn gewöhnlich genoss sie Tageslicht. In ihrem Kamin prasselten die Flammen. Sie ließ ihren Federkiel über Pergament jagen, das ihr nun reichlich zur Verfügung stand. Die Erinnerung an die Zeit in Wales, wo es kostbar gewesen war, ließ sie dennoch mit Bedacht schreiben, um nichts zu verschwenden. Dank
der Turniere hatte sie ein Ende
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