Die Dichterin von Aquitanien
dass die Verletzung harmlos sei, aber sein Körper ließ ihn eine andere Botschaft spüren.
»Du hättest dich ausruhen sollen, anstatt loszureiten«, mahnte sie sanft. »Aber jetzt besorgen wir dir einen guten Arzt, und es kommt alles wieder in Ordnung.«
Jean schloss kurz die Augen, als hätten ihre Worte ihm tatsächlich Erleichterung verschafft.
»Ich wollte reiten«, flüsterte er. »Robert war tot, und ich … Ich wollte einfach nur nach Hause. Ich wollte zu …«
Seine heißen Finger umklammerten ihr Handgelenk, als habe er Angst, sie könnte sich in Schall und Rauch auflösen, wenn er sie nicht festhielt. Marie beugte sich über ihn.
»Jetzt bist du hier, und alles wird gut«, sagte sie mit so viel Überzeugung, dass sie selbst daran glauben konnte. Dann ging sie mit Hawisa ins andere Zimmer.
»Wir brauchen diesen jüdischen Arzt, der damals den Ritter William pflegte«, meinte Marie sogleich. Doch zu ihrem Entsetzen schüttelte die Zofe den Kopf.
»Er hat freiwillig auf seine Stellung als Aliénors Leibarzt verzichtet und die Stadt verlassen«, erzählte sie. »Während des Weihnachtsfestes in Chinon muss etwas Unschönes vorgefallen sein. Sein Sohn wurde des Hofes verwiesen. Das muss den Vater gekränkt haben.«
Marie schluckte. Aus Loyalität zu Aliénor hatte sie niemandem erzählt, was in Chinon geschehen war. Auch Hawisa nicht.
»Wo ist er hingegangen?«
»Das weiß ich nicht. Aber ich kann mich in der Judengasse umhören, wenn du willst. Auch Juden sind nur Männer, und Männer plaudern gern mit mir.« Hawisa lächelte verschmitzt.
»Zuerst sollten wir aber jemand anderen suchen, der sich die Wunde deines Ritters ansieht. Im Kloster von Saint Hilaire gibt es sicher einen kräuterkundigen Mönch.«
Marie nickte erleichtert. Manchmal schien ihr Hawisa das größte Geschenk, das Gott ihr jemals gemacht hatte. Abgesehen von Jean.
Kurz darauf kehrte die Zofe mit einem kleinen Mann im Mönchsgewand zurück, der einer verschrumpelten Pflaume glich. Er strich eine braune, übel riechende Salbe auf Jeans Wunde.
»Käse vermischt mit Schimmelpilzen. Das hilft bei Entzündungen«, erklärte er den Gestank. Dann führte er die Frauen ins andere Zimmer und musterte sie aus ernsten Mäuseaugen.
»Es sieht nicht gut aus. Ich würde ein weiteres Ausbrennen vorschlagen, doch als Geistlicher darf ich keinen derartigen Eingriff am menschlichen Körper vornehmen. Es gibt einen Bader in der Stadt, der diese Aufgabe übernehmen könnte. Ich werde ihn benachrichtigen, wenn die Damen es wünschen.«
Erwartungsvoll blickte er in Maries Gesicht. Sie entfernte sich, um den Beutel mit Münzen zu holen, den sie regelmäßig von Aliénor für ihre persönlichen Ausgaben bekam.
»Ihr könnt ihm doch sicher ein Mittel gegen die Schmerzen geben«, bat sie, während sie dem Mönch zwei englische Silberpennys in die Hand drückte. »Die Wunde wurde schon einmal ausgebrannt. Jetzt will man ihn wieder quälen.«
»Schmerzen sind der Wille Gottes«, gab der Mönch zurück. »Manche große Diener des Herrn wie Bernard de Clairvaux waren gar der Ansicht, dass selbst eine Beschäftigung mit der Heilkunst sündhaft sei, doch halte ich es für meine Aufgabe, das Werk Gottes und damit auch den Leib
des Menschen zu schützen. Den Schmerz jedoch hat ein guter Christ hinzunehmen. Betet, Ma Dame, auf dass der Herr dem Ritter darin beistehe, denn dies ist Eure Aufgabe.«
In Marie begann es zu brodeln. Sie verspürte den Wunsch, diesem belehrenden Greis eine Gerte ins faltige Gesicht zu schlagen, damit er spürte, was Schmerz war. Dann erblickte sie seine von der Gicht verkrümmten Finger und begriff, dass sie sich täuschte. Der Mönch kannte den Schmerz zur Genüge, ertrug ihn wohl mit Gebeten und verwehrte sich vielleicht sogar ihm bekannte Mittel der Linderung. Doch hatte er ein Recht, dies auch von anderen zu verlangen?
»Wir danken für Eure Hilfe, Bruder«, beeilte Hawisa sich zu sagen, als fürchte sie eine bissige Bemerkung Maries. »Es wäre sehr freundlich von Euch, dem Bader Bescheid zu geben.«
Der Mönch entfernte sich mit einem stummen Nicken.
»Den jüdischen Arzt!«, schrie Marie ihrer Zofe ins Gesicht, sobald die Tür zugefallen war. »Ich möchte diesen David ben Jehuda!«
»Ich werde mich umhören«, versprach Hawisa. »Aber zunächst sollte der Bader kommen.«
Er erschien kurz vor dem Mittagsmahl mit einem Brenneisen. Jean hatte sich von Marie eine heiße Suppe einflößen lassen und schien bereits
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