Die Dichterin von Aquitanien
gefallen würde. Es ist nicht mehr wie damals, als wir uns dort trafen«, sagte er leise. »Die Liebesdichter und Damen sind fort. Jeden Abend singt Bertrand de Born vom ruhmreichen Tod in der Schlacht. Manchmal habe ich Lust, ihm den Hals zuzudrücken, auch wenn er ein begnadeter Dichter ist.«
Wieder stieß er ein Lachen aus, das wie ein Schmerzensschrei klang. Marie hob verstört ihr Gesicht. Das Strahlen, das ihren Ritter einst umgeben hatte, war erloschen. Er wirkte nur noch ausgezehrt.
Wie von selbst legten ihre Finger sich um die Stümpfe an seiner Hand. Ein Ruck fuhr durch seinen Körper. Sie spürte Arme auf ihrem Rücken, wurde in eine Umarmung gepresst, die ihr die Luft zum Atmen raubte.
»Ich habe kein Recht, etwas von dir zu erwarten«, stieß er hervor. »Du bist berühmt geworden. Hawisa sagt, du wirst die nächste Äbtissin.«
Marie vernahm ein Schluchzen. Jeans Kopf drängte sich an ihre Brust.
»Ich hasse dieses Leben, das ich die letzten Jahre geführt
habe. Das ewige Schlachten und Morden. Manchmal habe ich Angst, mich in ein wildes Tier zu verwandeln wie die Söldner.«
Sie ließ ihre Finger durch sein Haar gleiten und wiegte ihn wie ein Kind. Fünf Jahre der Trennung waren vergessen.
»Ich komme mit dir, wenn du willst«, versprach sie. »Ich gehe mit dir überallhin, auch an Richards kriegerischen Hof. Als seine Cousine dürfte ich vor den Söldnern sicher sein.«
In diesem Moment wandte sich Jean von ihr ab, schluchzte auf und vermied es, sie anzusehen, als schäme er sich für seinen Gefühlsausbruch.
»Marie«, begann er zaghaft. »Ich muss dir noch etwas erzählen. Ich habe ein weiteres Kind. Einen dreijährigen Jungen. Seine Mutter war eine Dienstmagd. Sie ist gestorben, und er soll nicht als mittellose Waise aufwachsen. Ich habe ihn zu meinen Eltern gebracht. Amélie nennt ihn Bruder. Es wäre hart für sie, von ihm getrennt zu werden.«
Plötzlich begann Marie vor Kälte zu zittern. Sie dachte an die einsamen Nächte im Kloster, da sie sich vor Verzweiflung in die Finger gebissen hatte, um durch diesen Schmerz eine brennende Sehnsucht zu betäuben. Jean hatte indessen Kinder gezeugt.
»Ist es möglich, dass du noch andere Nachkommen hinterlassen hast, von denen du nichts weißt, wie so viele andere Männer?«, fragte sie bissig.
Er wich ihrem Blick aus.
»Nein, das ist nicht möglich. Ich bin nur einmal schwach geworden, denn ich dachte, ich hätte dich für immer verloren.«
Immer noch vermied er es, sie anzusehen, doch Marie spürte, wie sehr er sich nach einer Berührung von ihr sehnte.
»Es waren fünf Jahre«, fügte er unnötigerweise hinzu und
streckte zaghaft die Hand nach ihr aus. Sie schüttelte seinen Griff ab.
»Ich weiß, dass es eine lange Zeit war. Ich verbrachte sie als Nonne«, entgegnete sie und spürte erneut das brennende Verlangen, auf Jean einzuschlagen. Er hob den Kopf, um sie verunsichert anzusehen.
»Hawisa erzählte, dass du glücklich bist. Ich erwog, einfach abzureisen, aber ich konnte es nicht. So lange hatte ich mir ausgemalt, wie ich kommen würde, um dich zu holen.«
Marie atmete tief durch. Es brodelte in ihrem Inneren, und sie vermochte keinen klaren Gedanken zu fassen.
»Ich habe von der großen Bibliothek des Klosters gehört«, hörte sie Jean weiterreden. »Davon hast du doch immer geträumt. Du lebst hier in Wohlstand, kannst lesen, was du willst, und schreiben und …«
»… und ich darf den Mann, den ich liebe, nicht in meinen Armen halten, sodass er sich mit anderen Frauen tröstet. Ich darf meine eigene Tochter nicht sehen«, drang plötzlich eine kreischende Stimme aus Maries Kehle. »Nur weil ich eine Frau bin, die sich nach Gelehrsamkeit sehnt, weil ich gern dichte und vielleicht sogar ein wenig Talent dazu besitze, soll ich dazu verdammt sein, mein Leben hinter Klostermauern zu fristen, denn sonst wäre ich nichts weiter als ein Tauschobjekt meines königlichen Onkels! Ich habe es satt! Ich will das nicht hören!«
Ihr rechter Fuß hob sich zu einem Tritt. Sie holte aus, doch traf sie nur einen Stein, und ein rasender Schmerz schoss durch ihr Bein. Tränen überschwemmten ihre Augen. Sie wandte sich um, wollte beschämt loslaufen, doch Jean riss sie zurück.
Nun war die Umarmung wieder sanft und voller Zärtlichkeit. Sein Mund glitt über ihr Gesicht, um sich schließlich auf ihre Lippen zu legen. Maries Verkrampfung schwand,
sie schmiegte sich an den Körper, den sie so lange vermisst hatte, und strich mit den Händen
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