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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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traf ihn heute Morgen auf dem Marktplatz. Er bat mich, dir das Rabenamulett zu geben.«
    Marie presste ihre Hände an die Stirn, hinter der ein Sturm zu toben begonnen hatte. Aus weiter Ferne drang ein Klopfgeräusch an ihr Ohr, und sie wandte verwirrt den Kopf. Die Dienstmagd kam mit einem Brett herein, platzierte Weinkrug und Suppenschüssel auf dem Tisch.
    »Du kannst gehen. Den Rest erledige ich selbst«, wies Marie sie an. Sobald das Mädchen verschwunden war, stand sie auf, um zwei Pokale und Schüsseln aus einem Regal in ihrem Gemach zu holen.
    Die Suppe dampfte auf dem Tisch. Keine der zwei Frauen
verspürte das Verlangen, sich mit ihr den Magen zu füllen, doch nippten sie beide an den Weinpokalen.
    »Will er mich denn sehen?«, hauchte Marie. Hawisa nickte erneut.
    »Heute Abend, sobald es dunkel wird und die Leute in ihren Häusern verschwinden. Er wird vor dem Tor der Kirche von Edwardstowe warten. Mehr sagte er nicht.«
    Marie zwang sich, ihren Atem zu beruhigen. Nach fünf Jahren wollte Jean also wieder mit ihr plaudern, da es ihn zufällig hierherverschlagen hatte. Vermutlich war er seit Langem vermählt und hatte mehrere Kinder wie Laurent und Hawisa. Er musste irgendwann begriffen haben, dass es keinen Sinn hatte, der Nichte eines Königs nachzuhängen.
    »Wie kommt er denn nach England? Ist Richard hier?«, fragte sie ratlos.
    »Richard ist in Aquitanien und bekriegt sich mit seinen Vasallen«, erklärte Hawisa. »So hat Jean es jedenfalls erzählt. Er wurde nach England geschickt, um Henri eine Nachricht zu überbringen. Und jetzt ist er hier.«
    Sie leerte ihren Weinpokal, dann stand sie auf.
    »Ich muss jetzt los, Marie. Meine Kinder warten auf mich. Aber du solltest nicht überstürzt handeln. Er ließ dich lange warten, ohne auch nur eine Nachricht zu schicken. Vergiss das nicht.«
    Marie fuhr zusammen. Auf einmal verspürte sie den Drang, Jean zu verteidigen.
    »Vielleicht konnte er nicht früher kommen. Wie lange hättest du auf deinen Laurent gewartet?«
    Hawisa blieb nachdenklich stehen.
    »Ein paar Jahre mit Sicherheit. Oder auch länger. Ich weiß es nicht.«
    Sie trat auf Marie zu, hob die Hände und strich ihr sanft über die Wangen.

    »Ich wusste stets, dass es meine Bestimmung im Leben ist, ein Heim, einen Mann und Kinder zu haben. Als Nonne könnte ich niemals Zufriedenheit finden. Du bist anders, Marie. Es gibt so vieles in diesem Kloster, das deinem Wesen entspricht. Wirf es nicht unbedacht fort.«
    Dann ging sie hinaus. Marie verbarg ihr Gesicht in den Händen, während Jean in ihrer Erinnerung aufstieg. Sie spürte die Berührung seiner Hände, sah das blaue Strahlen in seinen Augen, als sie ihm ihren Körper schenkte. Aber es waren fünf Jahre vergangen. Er war sicher nur gekommen, um zu reden. Nichts weiter. Marie stand auf und ging zu ihrer Truhe. Sie hatte lange schon aufgehört, den Stein heimlich hervorzuholen, um ihn in einsamen Nächten in ihre Handfläche zu pressen, sodass am nächsten Morgen noch ein Abdruck zu sehen war. Sie hatte Frieden gefunden, dank der Zusprache ihrer Tante, den regelmäßigen Gebeten und vor allem durch das Lesen und Schreiben in der Bibliothek. Jetzt brauchte sie eine Weile, um den Stein wieder hervorzukramen, doch gleich darauf ließ sie ihn fallen, auch wenn ihr dies einen Stich versetzte. Sie wollte keine Liebesdichterin mehr sein, die sich an Andenken klammerte, um von schönen Rittern zu träumen.
    Sie war die zukünftige Äbtissin des angesehensten Nonnenklosters von England.
    Nun musste sie bald losgehen, um Schwester Ermengard im Kräutergarten zu helfen. Auf ihren Rat hin waren die Schriften des großen Avicenna für die Bibliothek angeschafft worden, und nun wollte sie sicherstellen, dass alle in ihnen erwähnten Heilmittel auch verfügbar wären. Das nächste Stundengebet sollte sie auch nicht wieder versäumen.
    Nach dem Completorium würde sie vorgeben, Hawisa und Laurent zu besuchen, und sich auf den Weg zur Kirche machen.
Sie wusste nicht, was sie erwartete, ahnte aber, dass alte Wunden aufgerissen würden. Trotzdem musste sie Jean wiedersehen.
     
    Marie schlich sich durchs Tor nach draußen. Laurent, der von den Ställen kam, nickte ihr zu. Sie erklärte laut, dass sie bei Hawisa warten würde, bis er ebenfalls eintraf, damit keine Zweifel über das Ziel ihres Ausflugs aufkamen. Unterwegs glitten ihre Hände wie von selbst über ihr schlichtes Nonnengewand. Sie erinnerte sich an die seidenen Stoffe ihrer Chemises, an

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