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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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über seinen Rücken. Jean löste die Kordel an ihrem Nonnengewand, während sie eng umschlungen auf die Wiese zu ihren Füßen sanken. Worte waren jetzt überflüssig geworden.
     
    Marie tastete sich am Gemäuer entlang, denn sie hatte in ihrer Aufregung keine Kerze auftreiben können. Wie erwartet drang noch Licht durch die Tür, die zu den Gemächern der Äbtissin führte, und sie klopfte an.
    »Komm herein, Marie!«
    Marie war nicht erstaunt, dass sie erwartet wurde. In den letzten Jahren hatte sie ihre Tante oft nach Einbruch der Dunkelheit aufgesucht, um die Angelegenheiten des Klosters zu besprechen oder ihre neuen Werke vorzulesen. Eine Äbtissin durfte keine ihrer Nonnen bevorzugen. Maries Tante hielt sich so gut wie möglich an diese Regel, doch sobald die anderen Nonnen schliefen, galt sie nicht mehr.
    Zaghaft trat Marie ein. Scham brannte auf ihren Wangen, denn sie hatte soeben ihr Gelübde gebrochen, doch eiserne Entschlossenheit trieb sie voran. Das Gespräch war notwendig.
    Kerzen erhellten einen großen Raum mit kunstvoll geschnitzten Möbeln. Auf dem Tisch lag ein besticktes Tuch. Das Gebot des heiligen Benedikt zu schlichter Lebensführung geriet schnell in Vergessenheit, wenn fast alle Nonnen aus den edelsten Familien des Königreichs stammten. Die Äbtissin nippte an einem vergoldeten Weinpokal und hatte Listen vor sich ausgebreitet. Säcke voller Münzen stapelten sich in einer Ecke. Marie begriff, dass ihre Tante soeben die gesammelten Abgaben und Steuern aus den Ländereien des Klosters überprüfte. Sie war gründlich in diesen Dingen, ebenso wie ihr Halbbruder Henri.

    »Nun, was ist? Du siehst müde aus.« Der Blick aus grauen Augen streifte Marie nur kurz, denn die Äbtissin war ganz in ihre Tätigkeit versunken.
    Marie trat einen Schritt vor. Ihre Finger verknoteten sich vor Aufregung.
    »Ich muss mit Euch reden.«
    »Dann tue es.«
    Die Äbtissin wies auf einen Stuhl. Marie setzte sich.
    »Ich … Ich habe … Es ist etwas Unerwartetes ist geschehen …«
    Ihre Tante wandte sich von den Listen ab und legte eine Hand auf Maries Schulter. Ihr Gesichtsausdruck war erschreckend ernst.
    »Dein Ritter ist hier. Das weiß ich.«
    Marie wurde schwindelig. Hawisa hatte sicher nichts verraten. War es Laurent gewesen? Vermutlich hatte eine mächtige Äbtissin andere Informanten.
    »Wenn du gesündigt hast, dann gehe zur Beichte«, meinte ihre Tante gleichmütig und zog ihre Hand wieder zurück.
    Marie schüttelte energisch den Kopf. Ihr ganzer Körper lehnte sich gegen diese Worte auf, denn ein fast vergessener Rausch hatte ihm wieder jugendliche Beschwingtheit geschenkt.
    »Ich empfinde kein Gefühl von Sünde«, erklärte sie. Ihre Tante stieß einen leisen Seufzer aus, doch malte sich keine Empörung auf ihrem Gesicht, nur milde Nachsicht.
    »Dann bist du weiterhin in deinen Ritter verliebt«, stellte sie völlig nüchtern fest. »Aber Sünde ist es trotzdem. Gehe beichten! Ich werde diesen Fehltritt vergessen.«
    Dann wandte sie sich wieder ihren Listen zu, als verspüre sie nicht den geringsten Wunsch, das Gespräch weiter fortzuführen. Marie holte Luft. Auf einmal schmerzte jedes ihrer
Glieder, denn ihr wurde endgültig bewusst, was sie getan hatte. Und was sie jetzt tun musste.
    »Ihr seid sehr gütig zu mir gewesen«, redete sie weiter. »Ich kam unter Zwang hierher, aber Ihr habt dafür gesorgt, dass ich Zufriedenheit finden konnte. Doch jetzt …«
    »Jetzt hast du den Wunsch, dem Mann deines Herzens zu folgen«, beendete ihre Tante den Satz. Langsam hob sie ihren Kopf, um Marie erneut anzusehen. Es lag immer noch kein Vorwurf in ihren Augen.
    »Du bist eine sehr kluge Frau, belesen und begabt. Dein Unterricht bereitet den meisten Mädchen hier Freude. Du könntest meine Nachfolgerin werden, eine geeignetere gibt es nicht.«
    Marie vergrub ihr Gesicht in den Händen. Sie war eine Verräterin an ihrem Gelübde, das aber nicht ganz freiwillig abgelegt worden war. Vor allem jedoch an der Zuneigung dieser Frau, die ein Leben in Wohlstand und Ansehen für sie geplant hatte.
    »Verzeiht mir bitte, aber ich möchte gehen«, beharrte sie.
    »Wohin?«
    »Ich weiß es nicht genau. Dort, wo Jean hingeht.«
    Ihre Tante runzelte sie Stirn.
    »Was besitzt dein Jean? Ein Pferd? Und ein Schwert? Oder hat er beides nur von seinem Dienstherrn als Leihgabe erhalten?«
    »Das ist jetzt unwichtig! Ich liebe ihn und will ihm folgen, wie Ihr selbst erkannt habt.«
    Die Äbtissin legte ihre Hände in den Schoß

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