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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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farbenprächtige Bliauts, bis zum Boden wallende, mit Borten verzierte Ärmel und lange Schleppen. Auch in Poitiers war sie keine Schönheit gewesen, doch inzwischen hatte die Zeit sie in eine alternde Nonne verwandelt. Sie war einunddreißig. In diesem Alter hatte Aliénor zwar Henri umgarnt, aber Marie wusste, dass sie sich nicht mit ihr vergleichen konnte.
    Und ihr Aussehen war auch völlig unwichtig, mahnte sie sich.
    Dennoch strich sie sich mit der Hand über die Wangen. Sie fühlten sich weich an, doch sie hatte seit Jahren in keinen Spiegel mehr geblickt, obwohl sie wusste, dass einige Mädchen wie Annais diese Zeichen sündhafter Eitelkeit heimlich unter ihren Matratzen versteckten.
    Ein paar Bewohner von Edwardstowe liefen noch herum, um Tiere in Ställe zu treiben und Vorräte ins Haus zu holen. Respektvoll nickten sie Marie zu, und es gelang ihr, diese Grüße zu erwidern, auch wenn sie sich gleichzeitig wünschte, dass diese Menschen von einem Unwetter in ihre Behausungen gefegt würden. Nonnen sollten nicht in aller Öffentlichkeit mit fremden Männern plaudern, nicht einmal vor dem Eingangstor der Kirche.
    Sie erkannte ihn sofort, obwohl er ihr den Rücken zugewandt
hatte. Die hohe Gestalt hatte sich nicht verändert. Wieder entwickelten ihre Hände einen eigenen Willen und glitten ihren Körper hinab. Die Kost im Kloster war keineswegs spärlich, doch hatte Marie niemals zur Völlerei geneigt. Sie zog die Kordel enger um ihre Taille. Diesen Anfall von Eitelkeit konnte sie mit einigen Gebeten büßen. Aber vielleicht wäre das gar nicht nötig, denn der Schmerz, dem sie entgegenging, könnte Gott als Strafe genügen.
    Jean fuhr herum, sobald er ihre Schritte auf den Stufen zum Eingangsportal vernahm. Marie erstarrte. Ihre Beine schienen plötzlich zu schwach, um weiter das Gewicht ihres Körpers zu tragen. Kurz schwankte sie, dann gelang es ihr, die Fassung wiederzufinden und ihm ruhig ins Gesicht zu blicken.
    Das Blondhaar schimmerte silbern im ersten Mondlicht. Es war an den Schläfen zurückgegangen und hatte an Fülle eingebüßt. Die Haut schien dichter an den Schädelknochen zu kleben. Seine Wangen waren hohl, und eine tiefe Narbe zerriss die rechte Hälfte seines Gesichts von der Wange bis zur Stirn.
    Nur die Augen hatten sich nicht verändert. Sie leuchteten in jenem strahlenden Blau, das Marie so oft in ihren Träumen verfolgt hatte.
    Plötzlich erfasste eine Welle des Zorns Maries Körper. Ihre Hände wurden zu Fäusten, und am liebsten hätte sie auf Jean eingeschlagen. In Chinon war er ohne Abschied verschwunden, hatte sie zu einem Leben in unfreiwilliger Keuschheit verdammt und ihr nichts als ein vages Versprechen hinterlassen. Wie lange hatte sie sich an die Hoffnung geklammert, dass er eines Tages kommen würde, um sie zu holen! Doch er hatte sie fünf endlose Jahre warten lassen, bis sie allmählich alle Hoffnung auf ein Wiedersehen verlor. Wutentbrannt lief sie los und sah, wie Jean abwehrend die Hände hob.

    Er senkte den Blick und stieg langsam die Stufen hinab, um den Weg aus der Ortschaft hinaus einzuschlagen. Marie brauchte eine Weile, bis sie den Grund für dieses Verhalten begriff. Hätte sie ihn vor der Kirche angeschrien, dann wäre ihre Stimme in sämtliche Häuser gedrungen, deren Bewohner sich bereits schlafen legten. Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Erst als er mit dem Dunkel des Waldes zu verschmelzen begann, sah sie sich vorsichtig um, und sobald sie sich unbeobachtet wähnte, folgte sie mit pochendem Herzen.
    Jean saß auf einem Baumstumpf. Mit einem Messer schnitzte er an einem Ast herum, den er aber sogleich wegwarf, als Marie erschien. Die blauen Augen musterten sie so eindringlich, dass alle zornigen Worte ihr im Hals stecken blieben. Sie hockte sich neben ihm auf den Boden und krallte ihre Finger ins feuchte Gras.
    »Was führt dich jetzt auf einmal nach England?«, fragte sie so gelassen wie möglich.
    »Richard schickte mich mit einer Botschaft zu seinem Vater«, bestätigte er Hawisas Aussage. »Seine aufmüpfigen Vasallen planen, sich mit seinen Brüdern zu verbünden. Dem jungen Henry ist eingefallen, dass er ursprünglich als Herzog von Aquitanien gedacht war. Nun will Richard sich der Unterstützung jenes Mannes versichern, den er aus tiefstem Herzen hasst.«
    Marie schüttelte den Kopf. Ihre königliche Familie war wie ein Haufen gieriger Wölfe, der sich ums Fressen balgte.
    »Deshalb musstest du aber nicht nach Edwardstowe kommen«, warf sie

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