Die Dichterin von Aquitanien
Schultern.
»Auch in London sagte man einigen Heilerinnen nach, Zauberinnen oder gottlose Heidinnen zu sein«, begann sie zögernd. »Doch vielen Leuten halfen ihre Kräuter. Du solltest natürlich beten und …«
»… und ihr Angebot annehmen, um zu sehen, wie viel es nützt«, beendete Marie den Satz. Hawisa widersprach nicht. Sie half Marie aus den Gewändern, bürstete ihr Haar und rief eine der Bediensteten, um einen Krug Bier hereinbringen zu lassen. Sie leerten ihn gemeinsam, da Cadell Marie
an diesem Abend von seiner Gegenwart verschonte. Danach legten sie sich aufs Bett. Marie schloss die Augen und wartete, bis der schwarze Vogel wieder in ihre Träume flattern würde. Sanft drangen Hawisas Atemzüge an ihr Ohr. Die Gegenwart der Zofe und Freundin schenkte ihr ein Gefühl von Sicherheit, auch wenn sie wusste, dass Cadell Hawisa jederzeit aus dem Raum weisen konnte, falls er dennoch eintrat. Marie rollte ein Stück an die junge Frau heran und spürte deren seidig weiches Haar auf ihrem Arm.
»Ihr seid unsere letzte Hoffnung, Sire«, hörte sie Hawisa murmeln und fragte sich, wer wohl dieser zarten Schönheit im Schlaf erschien.
Hawisa verschwand bereits im Morgengrauen. Marie ließ sich von einem der walisischen Mädchen Wasser bringen und wusch sich, bevor sie wieder in ihre Chemise und einen der schlichteren Bliauts schlüpfte, die sie besaß. Langsam bürstete sie ihr Haar durch. Vor der Tür hörte sie die Schritte von Bediensteten, doch zum Glück blieben die schweren, schleppenden Tritte ihres Gemahls aus. Nach durchzechten Nächten schlief er manchmal, bis die Sonne hoch am Himmel stand, doch danach plagten ihn Übelkeit und Kopfschmerzen. Marie beschloss, in ihrer Kammer zu bleiben, obwohl dies vielleicht eine Gelegenheit gewesen wäre, sich ein wenig die Beine zu vertreten. Aber die Enge der steinernen Gänge dieser Burg bedrückte sie, auf dem Hof meinte sie, von neugierigen Blicken durchbohrt zu werden, und an dem Tor, das hinaus in die Wälder führte, standen Wächter, die den Befehl hatten, der Gemahlin des Hausherrn jeden Ausflug zu verweigern.
Geduldig fütterte sie Cleopatra und fragte sich, wohin Hawisa wieder einmal gelaufen sein konnte. Sie beneidete das Mädchen um seine Freiheit, ebenso wie das Strahlen,
mit dem Hawisa manchmal zurückkehrte, eine unklare Sehnsucht in ihr weckte. Marie fragte sich, warum es ihr einfach nicht gelingen wollte, den ganzen Tag zu schlafen. Nur in ihren Träumen empfand sie noch Freude am Leben.
Nachdem eine Dienstmagd ihr schweigend eine Brühe auf den Tisch gestellt hatte, die das Morgenmahl sein sollte, kam auch Hawisa endlich zurück.
»Ich habe etwas für dich«, sagte sie und griff in einen Beutel. »Das ist der Trank, von dem Angharad sprach.«
Marie erblickte ein kleines, hölzernes Gefäß. Neugierig entfernte sie den Stöpsel. Eine bräunliche Flüssigkeit schwamm in dem Behälter. Marie roch daran, doch konnte sie nur einen Duft wahrnehmen, der an die Weite der Wälder und Wiesen dieses Landes erinnerte. Sie erwog, selbst einen Schluck zu nehmen. Vielleicht konnte dieser Trank auch jene Schwermut lindern, die mit jedem Tag schwerer auf ihr lastete.
»Da ist noch etwas, das ich dir geben soll«, sagte Hawisa zaghaft und hielt Marie ihre zur Faust geballte Hand hin. »Ein besonderes Geschenk von Angharad.«
Gespannt streckte Marie der Zofe ihre Handfläche entgegen. Bald darauf spürte sie einen kleinen, kühlen Gegenstand darauf ruhen, eine aus Bernstein geformte Figur, die sie an einen Raben erinnerte und ein wenig jenem Vogel glich, der nachts in ihre Träume flatterte.
»Sie sagte, dies sei das Zeichen ihrer Göttin, der Herrin der Raben«, murmelte Hawisa. »Du sollst es um deinen Hals hängen, damit es dich beschützt und dir Kraft schenkt bei allem, was du noch tun wirst. Sie verstummte für einem Moment und lachte unsicher. »Ich verstehe natürlich, wenn du es ins Feuer werfen möchtest«, sagte sie dann. »Es ist heidnisch. Aber ich glaube, diese Heilerin mag dich.«
Maries Finger strichen über die glatten Formen der Figur.
Sie war einfach geschnitzt, entbehrte aller Kunstfertigkeit der Verzierungen in Kirchen und Abteien, doch schien eben in dieser Schlichtheit eine merkwürdige Kraft zu liegen. Wie von selbst ballte Maries Hand sich zu einer Faust, um das eigenartige Geschenk fest zu umklammern.
»Ich werde es behalten«, sagte sie. »Vielleicht erzähle ich in der Beichte davon. Mein Gemahl hat mich bereits darauf
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