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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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angesprochen, dass ich niemals seinen Kapellan, diesen Vater Brian aufsuche.«
    Sie hatte niemanden in dieser Burg sehen wollen, war überzeugt gewesen, von Menschen umgeben zu sein, die sie ebenso verachteten wie Cadell es tat. Nun fühlte sie sich plötzlich stark genug, den Kapellan zu treffen, aber sie ahnte, dass sie das Geschenk Angharad ferch Davydds nicht wegwerfen würde, selbst wenn er sie dazu auffordern sollte.
     
    Der Rest des Tages verlief ereignislos. Hawisa leistete Marie eine Weile Gesellschaft, und sie vertrieben sich die Zeit mit einem Brettspiel, während Cleopatra ihre Runden in der Kammer drehte. Danach verschwand die Zofe, um die Aufgaben der Hausherrin zu erledigen. Marie blieb allein in ihrem Gemach, beschäftigte sich mit Cleopatra und beobachtete gelegentlich durch die Fensteröffnung den Alltag in ihrem neuen Heim. Als die Dämmerung sich über den Burghof senkte, erschien Hawisa erneut, um die Fensteröffnungen abzudecken und die Hausherrin für das Mahl im Rittersaal herzurichten. Marie überlegte, ob sie sich ohne Hawisa noch der verschiedenen Tageszeiten bewusst wäre. Sie hatte das Rabenamulett mit einer Schnur um ihren Hals gebunden, doch verbarg sie es unter dem Kragen der Chemise. Auf ihrer nackten Haut schien es Wärme zu verbreiten. Ihr war weniger unwohl zumute als sonst, während sie losging, um sich an die Seite ihres Gemahls zu setzen.

    Cadell sah blasser aus als gewöhnlich. Tiefe Schatten hatten sich unter seine Augen gelegt, und der übliche Gestank seines Atems war von Biergeruch durchtränkt, als er sich an Marie wandte.
    »Da kommt ja mein geliebtes Weib!« Seine Stimme klang so bissig wie sonst, doch lallte er ein wenig, obwohl er sehr viel Bier vertrug. Der Gedanke, dass seine Schmerzen in letzter Zeit stärker geworden sein mussten, schoss kurz durch Maries Kopf, doch vermochte sie kein Mitgefühl mehr zu empfinden. Schweigend setzte sie sich an ihren angestammten Platz. Eine merkwürdige Ruhe hatte sich in ihr ausgebreitet, als sei alles, was hier geschah, nicht von Bedeutung.
    Cadells verfügte über weitaus weniger Männer als sein Bruder Rhys. Sie schienen eine eingeschworene Gemeinschaft aus alten Kriegern und ein paar Jünglingen, die sich lautstark in der walisischen Sprache unterhielten. Marie nippte an ihrem Bierkrug und warf einen kurzen Blick auf die aufgetischten Speisen. Sie hatte bereits nach ihrer Ankunft in Wales den Appetit verloren, und der Bratengeruch in ihrer Nase war ihr unangenehm. An Henris Hof hatte vermutlich Aliénors Einfluss für Abwechslung auf der abendlichen Tafel und den Duft exotischer Gewürze gesorgt. Das walisische Essen war einfacher, es unterschied sich kaum von den Speisen, die Agnès in Huguet aufgetischt hatte. Doch daran lag es nicht, dass Marie keinerlei Hunger mehr empfand. Als Kind hatte sie stets mit Freude gegessen. Das Leben selbst war ihr gleichgültig geworden, und damit schwand auch die Lust auf jede Art von Nahrung. Statt nach dem Braten vor ihr zu greifen, ließ Marie ihren Blick über die versammelte Runde schweifen. Am Ende der Tafel entdeckte sie Guy de Osteilli mit drei normannischen Rittern. Sie waren als Maries Gefolgschaft hierhergekommen, doch hatte Cadell ihr
jeden Umgang mit ihnen verboten. Guy warf ihr mitunter niedergeschlagene Blicke zu, doch sobald der Sänger Owein erschien, hatte ihr Ritter Marie auch schon vergessen.
    Sie genoss die Darbietung des begnadeten Kobolds. Er allein machte diese Abende erträglich, denn seine Stimme entführte sie in die fremde Welt der Träume. Doch es kam der Augenblick, da Owein sich verbeugte, die stürmischen Begeisterungsrufe gelassen entgegennahm und schließlich seine Harfe zur Seite legte, um sich neben Guy de Osteilli zu setzen. Die Bediensteten begannen, das Geschirr abzutragen. Marie ahnte bereits, was nun kommen würde. Cadells Finger legten sich wie eine Fessel um ihr Handgelenk.
    »Lass uns gehen, es ist Zeit«, flüsterte er ihr spöttisch ins Ohr. Ihre Beine schienen mehr Kraft zu besitzen als bisher, denn es gelang ihr, sich ohne jedes Zögern zu erheben. Ruhig folgte sie Cadell. Hawisa sah sie traurig an, und Marie zwang sich, ihrer Freundin ein beruhigendes Lächeln zu schenken.
     
    Während ihrer Abwesenheit hatten Dienstmägde das Gemach für den Besuch des Hausherrn vorbereitet. Die Laken auf dem Bett waren ausgewechselt worden, ein dunkles Tuch bedeckte Cleopatras Käfig, und auf dem Tisch stand ein weiterer Krug Bier mit zwei Bechern. Cadell

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