Die Diener des Boesen
Schmerz des anderen nicht in seinem vollen Ausmaß nachempfinden zu können.
»Es ist aus, Rupert«, sagte der Mann, als sie sich langsam von dem Imbissstand entfernten, Andersen mit einem Becher Kaffee und Giles mit einem scheußlich aromatisierten Tee, dessen durchdringender Geruch ihn an das Lavendelbadesalz erinnerte, das seine Großmutter in einem geschliffenen Kristallglas im Badezimmer aufbewahrte. »Ich bin völlig durch den Wind. Kommenden Montag wird man mich feuern.«
»Vielleicht ist noch nicht alles verloren«, meinte Giles. Aber er war sich dessen nicht sicher.
Vielleicht hatte der Zeitpunkt, zu dem sie einander über den Weg gelaufen waren, zu einer Art Freundschaft zwischen ihnen geführt. Jenny Calendar war erst kurz zuvor gestorben, und Giles hatte sich von allem zurückgezogen und in seinen Schmerz vergraben. Während Giles der bebenden Stimme des Police Officers zuhörte, musste er an Jamies verschwundenen Sohn denken und daran, wie viel schlimmer es für ihn, Giles, gewesen wäre, nicht zu wissen, ob Jenny tot war oder noch lebte, wenn sie eines Tages so wie Jamies Sohn, einfach spurlos verschwunden wäre.
Trotz aller Trauer hätte Giles es selbst jetzt vorgezogen, mit Sicherheit zu wissen, dass sie nie zurückkehren würde. Zumindest redete er sich das ein. Es war einfach, sich Dinge einzureden, wenn man sicher war, dass sie nie passieren würden. Von der Tatsache abgesehen, dass er auf dem Höllenschlund lebte und Jenny hier gestorben war. Man konnte hoffen. Beten. Einsam genug sein, um der Versuchung zu erliegen, sich mit Runenwerfen und Magie zu beschäftigen.
Zu trinken.
Aber Giles hatte das Trinken längst hinter sich. Er hatte sich nur ein einziges Mal in Sunnydale betrunken und Buffy dadurch so verängstigt, dass er sich geschworen hatte, nie wieder so selbstsüchtig zu sein. Im Gegensatz zu einem Police Officer konnte es sich ein Wächter nicht leisten, in seiner Freizeit Vergessen im Alkohol zu
suchen.
In England hätten Andersens Vorgesetzte es ignoriert, weil sie wussten, was er in seinem Privatleben durchgemacht hatte. Zumindest in dem England, das Giles kannte, liebte und zutiefst vermisste.
»Bist du sicher, dass du gehen kannst?«, fragte Giles.
»Nein, aber ich muss wieder nüchtern werden.« Anderson sah elend aus. Er roch nach Bier. »Ich kann nicht glauben, dass mir das passiert ist. Ich habe mir eine Cola zum Essen bestellt, aber sie haben mir versehentlich ein Bier gegeben. >Okay, warum nicht ?<, sagte ich mir.« Er stürzte den Kaffee hinunter und schnitt eine Grimasse. Vielleicht war er so ungenießbar wie der Tee. »Drei Biere später sieht es so aus, als ich könnte ich meine Dienstmarke verlieren.«
»Du hast Cola bestellt und Bier bekommen?«, fragte Giles und legte den Kopf schief.
Anderson lachte hohl. »Genau. So stellt sich ein Neunzehnjähriger das Paradies vor. Ich bin jetzt seit fünfzehn Jahren im Dienst. Und das alles habe ich einfach so weggeworfen, nur weil ich mir einen lausigen Pappbecher Bier andrehen ließ. Dabei war es nicht einmal ein gutes Bier.«
»Nein?« Giles wies zu der schlammigen Wiese, die als Parkplatz diente. Anderson hatte bereits zugestimmt, sich von Giles nach Hause fahren zu lassen. Später konnte ihm jemand helfen, Andersons Auto vom Parkplatz abzuholen. Vielleicht Cordelia oder Oz. »Das tut mir Leid.« Mit einem Lächeln, das grimmige Befriedigung ausdrückte, goss er seinen Tee in den Dreck.
Als sie den Ausgang passierten, steckte der Kartenverkäufer den Kopf aus seinem Häuschen und bedachte Giles mit einem harten, stummen Blick. Der Wächter fühlte sich unbehaglich und fragte sich, ob es eine gute Idee war, Buffy hier allein zurückzulassen. Nun, nicht ganz allein. Sie war mit ihren Freunden zusammen.
Und Angel war bei ihr.
Und das ist auch gut so, sagte er sich streng. Vielleicht verstand er von allen am besten, dass Angel Angel war und Angelus der Dämon, der ihn besessen hatte. Und es war Angelus gewesen, durch den Giles die erste Liebe seines Lebens verloren hatte. Nicht Angel.
Giles musste sich immer wieder ermahnen, dass er nicht hier war, um Buffys Vater zu ersetzen, wie sie so scharf formuliert hatte. Aber trotz ihrer Körperkraft und ihres, nun, ihres Rückgrates war sie nichtsdestotrotz ein junges Mädchen, das mehr Tragödien erlebt hatte, als andere ihrer Generation sich überhaupt vorstellen konnten. Giles würde nie ihr Flehen vor dem brennenden Lagerhaus vergessen, wohin er sich in seinem rasenden
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