Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)
Mannes und einer Frau – König und Königin? Vielleicht Lord und Lady Byron? Die scharlachrote Justitia zertrat den Leib einer großen zweiköpfigen Schlange oder vielleicht eines schuppigen Drachens, dessen sich ringelnder Körper mit VERDIENSTADEL etikettiert war. Hinter der Göttin der Gerechtigkeit stand die Londoner Stadtsilhouette in scharlachroten Flammen, während der Himmel um die dargestellten Figuren von stilisierten schwarzen Wolken nur so brodelte. Drei Männer, anscheinend Kleriker oder Gelehrte, baumelten an einem Galgen im oberen rechten Winkel, und im oberen linken Winkel schwenkte eine Menge schlecht gezeichneter Gestalten Fahnen und Jakobinerspieße; sie rückten unter einem Kometen gegen ein unbekanntes Ziel vor.
Und das war noch nicht alles. Mallory rieb sich die brennenden Augen. Das große rechteckige Plakat enthielt noch eine Menge kleinerer Darstellungen, die den Hintergrund belebten. Hier blies ein zwergenhafter Windgott eine Wolke aus, die mit PESTILENZ beschriftet war, dort explodierte eine Kanonenkugel oder Bombe in zahllose spitze Bruchstücke und fegte missgestaltete schwarze Kobolde hinweg. Ein mit Blumen überhäufter Sarg stand unter der Schlinge eines Henkers. Eine nackte Frau kauerte zu Füßen eines Ungeheuers, dargestellt als ein gut gekleideter Mann mit dem Kopf eines Reptils. Ein winziger betender Mann mit Epauletten stand unter einem Galgen, während der Henker, ein kleiner Kerl mit Kapuze und aufgerollten Ärmeln, bedeutungsvoll zur Schlinge zeigte … mehr von den schmutzigen Rauchwolken, die wie Schlammspritzer über das Plakat verteilt waren, verbanden die Einzeldarstellungen wie der Teig die Rosinen eines Kuchens. Und am Fuß des Plakats war eine Art erläuternder Text zu lesen. Ein Titel, in großer, unsauberer Maschinenschrift: »Die SIEBEN FLÜCHE der HURE von BABYLONDON !«
Babylondon. Was für Flüche, und warum sieben? Das Plakat schien zusammengesetzt aus Einzeldarstellungen des Maschinen-Bildrepertoires. Mallory wusste, dass die modernen Druckereien über spezielle Lochkarten verfügten, die bestimm te grob gerasterte Bilder reproduzieren konnten, nicht anders, aber einfacher herzustellen als die Holzschnitte der alten Mo ritaten. In der Maschinenarbeit der Schunderzeugnisse konnte man dem einen oder anderen abgenutzten Bild immer wieder begegnen. Aber hier waren die Farben scheußlich, die Bilder laienhaft und primitiv angeordnet, und, schlimmer noch, das ganze Plakat schien in seiner unbeholfenen und abstoßenden Art etwas auszudrücken, das einfach und wahrhaft unaussprech lich war.
»Meinen Sie nicht?«, fragte eine Stimme neben ihm.
Mallory fuhr ein wenig zusammen. »Nichts«, murmelte er.
Der Mann schob sich näher an seine Seite, ein sehr großer, hagerer Mann mit glattem, ungepflegtem blonden Haar unter einem Zylinderhut. Er war angetrunken, und in seinen Augen war ein irrer Glanz. Sein Gesicht war verborgen hinter einer Maske aus punktiertem Stoff. Seine schmutzigen Kleider waren beinahe Lumpen, bis auf die Schuhe, die offensichtlich gestohlen und funkelnagelneu waren. Der Mann stank nach Schweiß, Verwahrlosung, Hilflosigkeit. Er blinzelte angestrengt zu dem Plakat hin, dann wieder zu Mallory. »Freunde von Ihnen?«
Mallory verneinte.
»Erzählen Sie mir, was es bedeutet!«, forderte der Mann. »Ich hörte Sie darüber reden. Sie wissen es, nicht?«
Der Mann hatte eine scharfe, aber verschliffene und stockende Stimme, und als er wieder von dem Plakat zu Mallory sah, hatte dieser das Gefühl, dass in den hellen Augen über der Maske ein tierischer Hass schwelte.
»Lassen Sie mich in Ruhe!«, rief Mallory.
»Christus den Erlöser lästern!«, kreischte der Hagere, und seine knorrigen Hände kneteten die Luft. »Das heilige Blut Christi, das die Sünde von uns wusch …«
Er streckte die Hände nach Mallory aus. Der schlug sie beiseite.
»Macht ihn kalt!« schlug eine anonyme Stimme vor. Die Worte luden die drückende Luft auf wie eine Leydener Flasche. Als Mallory sich umsah, merkte er, dass er und sein Gegner plötzlich von einer Menge umringt waren – keinen zufällig zusammengelaufenen Gaffern, sondern bösartigen Gestalten, üblem, verschlagen blickendem Gelichter. Der hagere Typ mit dem Zylinder, vielleicht von hinten gestoßen, kam stolpernd auf Mallory zu. Dieser brachte ihn mit einem Haken in die Magengrube zum Zusammenklappen. Aus dem Kreis der Umstehenden erhob sich ein schriller Schrei blutlüsternen Vergnügens. Ein Klumpen Dreck
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