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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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namenlosen Land seefahrender Albinos gekommen.
    Mallory richtete sich auf. »Sie haben ihn totgeschossen«, rief er hinauf.
    Der Angestellte, anscheinend außer Fassung, begann laut zu husten und gab keine Antwort.
    Da sah Mallory den Walnussgriff einer Pistole aus der kompliziert geknoteten Leibbinde des Matrosen ragen; er zog die Waffe heraus. Es war keine Pistole, sondern ein Revolver von unvertrauter Konstruktion; der massive Zylinder war eigenartig geschlitzt und eingekerbt. Der lange, achteckige Lauf, unter dem das Ende einer Art Kolbenstange herausragte, roch nach Schwarzpulver. Er blickte zum Ladeneingang. Es war deutlich zu sehen, dass ein größerer Trupp sich daran zu schaffen gemacht hatte, eine bewaffnete Meute von Plünderern. Sie musste sich zerstreut haben, nachdem der Seemann erschossen worden war.
    Mallory trat auf die Straße hinaus und schwenkte die Pistole. »Der Gauner war bewaffnet!«, rief er. »Sie taten gut daran …«
    Eine Kugel aus dem Gewehr des Angestellten schlug eine helle Kerbe in eine Zementstufe und sirrte als Querschläger davon; Mallory spürte den Luftzug im Gesicht.
    »Gott soll Sie strafen, Sie Trottel!«, brüllte Mallory hinauf. »Lassen Sie das sofort sein!«
    Es blieb einen Augenblick still. »Tut mir leid, Sir!« rief der Mann.
    »Was, zum Teufel, fällt Ihnen ein?«
    »Ich sagte, es tut mir leid! Aber werfen Sie am besten diese Waffe weg, Sir!«
    »Den Teufel werde ich tun!«, rief Mallory und steckte den Revolver in seinen Hosenbund. Er wollte den Angestellten auffordern, herunterzukommen und den Toten zuzudecken, besann sich aber eines Besseren, als andere Fenster aufgestoßen wurden und vier weitere Gewehrläufe zur Verteidigung von Jackson Bros. erschienen.
    Mallory wich zurück, hob die leeren Hände und versuchte zu lächeln. Als der Dunst ihn eingehüllt hatte, drehte er sich um und lief davon.
    Von nun an bewegte er sich vorsichtiger und blieb in der Straßenmitte. Er fand ein zertrampeltes Batisthemd und schnitt mit der kleinen Klinge seines Klappmessers einen weiten Ärmel ab. Vor Mund und Nase gebunden, ergab er eine brauchbare Atemmaske. Im Gehen untersuchte er den Revolver des Matrosen und pflückte eine geschwärzte Patronenhülse aus dem Zylinder. Fünf Kammern waren noch geladen. Es war ein ungefüges Ding ausländischen Ursprungs, ungleichmäßig gebläut, doch sah der Mechanismus aus, als sei er mit hinreichender Präzision gearbeitet. Auf die Seite des achteckigen Laufes war die Herstellermarke BALLESTER MOLINA schwach eingeprägt, aber andere Hinweise gab es nicht.
    Mallory kam in die Aldgate High Street, an die er sich von seiner Wanderung mit Hetty von der Anlegestelle bei der London Bridge erinnerte, aber sie wirkte auf ihn noch unheimlicher und hässlicher, als sie es mitten in der Nacht getan hatte. Dabei war sie allem Anschein nach von Plünderungen bisher verschont geblieben.
    Aus dem Nebel hinter ihm drangen rhythmische Glocken schläge, die sich rasch näherten. Er trat beiseite und ließ einen Feuerwehr-Dampfwagen vorbei. Die rot gestrichenen Seiten waren verbeult und zerschlagen. Irgendein toll gewordener Londoner Mob hatte die ausgebildeten Männer und Maschinen angegriffen, die zwischen der Stadt und einer Feuersbrunst standen. Dies schien Mallory der Gipfel perverser Dummheit zu sein, doch irgendwie überraschte es ihn nicht. Erschöpfte Feuerwehrmänner standen auf den Trittbrettern des Dampfwagens. Sie trugen absonderliche Gummimasken mit glänzenden Augengläsern und akkordeonartigen Atemschläuchen. Mallory wünschte sich selbst eine solche Schutzmaske, denn seine Augen brannten mittlerweile so stark, dass er wie ein Pirat in einer Pantomime zwinkerte und blinzelte.
    Aldgate High Street ging über in die Fenchurch Street, diese wurde zur Lombard Street, dann Poultry, und er war noch immer meilenweit von seinem Ziel, dem Palast der Paläontologie, entfernt. In der schlechten Luft meldeten sich seine Kopfschmerzen bald wieder, und zu allem Überfluss schien er sich jetzt der Themse zu nähern, denn der Nebel verdichtete sich zu einem feuchten, zähen und stinkenden Brodem, der ihm Übelkeit verursachte.
    Auf der Cheapside lag ein Stadtomnibus auf der Seite und war mit den Kohlen seiner eigenen Feuerung in Brand gesetzt worden. Alle Fenster waren eingeschlagen, und er war bereits zu einem geschwärzten Gerippe ausgebrannt …
    Auf dem Kirchhof der St.-Pauls-Kathedrale waren Menschen. Die Luft schien hier etwas klarer, denn die Kuppel

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