Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)
gedrungenen, auf Gleisketten fahrenden Ungeheuer des Krimkrieges. Der Nebel dämpfte das Fauchen der Dampfmaschinen und das Kettengerassel. Einer nach dem anderen rollte vorüber, während Mallory nach vorn spähte, ganz still stand und seine Bürde auf der Schulter hielt. Alle Dampfwagen schleppten Gelenkanhänger, bei denen es sich um planenverhüllte Kanonen und Munitionswagen zu handeln schien. Fußsoldaten in grau-braunen Uniformen drängten sich auf den Geschützwagen, die Gewehre mit den aufgepflanzten Bajonetten wie die Stacheln von Seeigeln aufgerichtet. Mallory zählte mehr als ein Dutzend Kriegsdampfwagen mit Geschützanhängern, wahrscheinlich waren es an die zwanzig.
Im Brompton Concourse sah er drei Gestalten mit Hüten und Gesichtsmasken leichtfüßig aus einem aufgebrochenen Eingang springen; aber niemand belästigte ihn.
Am Eingang des Palastes der Paläontologie hatte jemand eine Absperrung aus Sägeböcken errichtet. Aber die Barrikade war nicht bemannt, und es war ein Leichtes, daran vorbeizuschlüpfen und die vom schmutzigen Nebel schlüpfrigen Stufen zum Haupteingang zu ersteigen. Die hohen Türflügel des Portals waren mit einem schützenden Vorhang aus nassen Zeltbahnen verhängt, die vom Mauerbogen bis auf die Steinplatten reichten. Das feste, steife Gewebe roch nach Chlorkalk. Hinter dem Vorhang standen die Türflügel halb offen. Mallory ging hinein.
Bedienstete überzogen das Mobiliar des Foyers mit dünnen weißen Musselintüchern. Andere fegten und wischten und bearbeiteten die Gesimse mit Staubwedeln an langen Stangen. Frauen und Kinder aller Altersstufen in geborgten Schürzen des Stammpersonals waren geschäftig am Werk.
Nach einer Minute ratloser Verblüffung begriff Mallory, dass diese Fremden die Familien des Personals sein mussten, die in dem weitläufigen öffentlichen Gebäude Zuflucht und Sicherheit gesucht hatten. Und jemand – vermutlich Kelly, der Verwalter, und diejenigen Gelehrten, die noch geblieben waren – hatte die Flüchtlinge untergebracht und den Arbeitseinsatz organisiert.
Mallory schritt mit seiner papierenen Bürde zum Empfang. Es waren kräftige, derbe Gestalten aus dem arbeitenden Volk, sah Mallory. Ihre gesellschaftliche Stellung mochte beschei den sein, aber sie ließen sich nicht unterkriegen; sie hat ten sich in instinktiver Abwehr um ihre wissenschaftlichen Institutionen und die bürgerlichen Werte von Gesetz und Eigentum geschart. Mit einer herzerwärmenden Aufwallung patriotischer Erleichterung erkannte er, dass der taumelnde Wahnsinn der Anarchie seine Grenze erreicht hatte. Inmitten des Chaos war ein Kern spontaner Ordnung entstanden! Nun, wie trüber Schlamm sich zu Eiskristallen formiert, würde sich alles ändern.
Mallory warf seine verhasste Last hinter den verlassenen Empfangsschalter. Der Telegrafenapparat klapperte ungleichmäßig, neuer Lochstreifen spulte sich ruckartig auf dem Boden ab. Mallory betrachtete dieses kleine, aber bedeutsame Wunder und seufzte wie ein Taucher, dessen Kopf die Wasseroberfläche durchbrochen hat.
Die Luft roch scharf nach Desinfektionsmitteln, war aber atembar. Erleichtert zog Mallory sich den schmutzigen Atemschutz vom Gesicht und steckte ihn in die Tasche. Irgendwo in diesem gesegneten Zufluchtsort, dachte er, musste es etwas zu essen geben. Und vielleicht eine Waschschüssel und Seife, und geschwefelten Puder gegen die Flöhe, die sich seit dem Morgen in seiner Gürtelregion versammelt zu haben schienen. Schinken, Eier. Belebenden Wein. Briefmarken, Wäscherinnen, Schuhputzer – das ganze wundersame Netzwerk der Zivilisation.
Ein Fremder kam durch die Eingangshalle auf Mallory zumarschiert: ein britischer Soldat, ein Artillerieunteroffizier in eleganter Ausgehuniform. Er trug einen doppelt geknöpften blauen Waffenrock mit blitzenden Messingknöpfen, Rangabzeichen und golddurchwirkten Epauletten. Seine engen Hosen hatten auf der Seite rote militärische Streifen. Er trug eine runde Feldmütze mit goldenem Besatz und eine Pistolentasche an seinem weißen Lederkoppel. In seiner geraden Haltung und mit einem Ausdruck strengen Pflichtbewusstseins kam dieser stattliche junge Mann auf ihn zu. Mallory richtete sich rasch auf, bestürzt und sogar in einer unerklärlichen Weise beschämt, in seinem zerknitterten, schweißfleckigen und unsauberem Zivil vor diesem Musterexemplar militärischer Disziplin zu erscheinen.
Dann erkannte er den Uniformierten. »Brian!«, rief Mallory überrascht. »Brian,
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