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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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Hosenbund ragen sehe«, sagte der König. »Das ist ein Gegenstand, der einem Herrn und Gelehrten nicht gut zu Gesicht stehen kann.«
    Mallory sagte nichts.
    »Befolgen Sie meinen Rat, Dr. Mallory, und tun Sie diese Waffe weg, bevor Ihnen damit ein Missgeschick passiert. Ich glaube wirklich, Sie hätten einem meiner Jungen Schaden zufügen können, wenn ich nicht durch mein Guckloch diese Waffe gesehen hätte und ausgestiegen wäre, um die Dinge ins Lot zu rücken. Gehen Sie nach Hause, Sir, und bewahren Sie einen kühlen Kopf.«
    »Warum sind Sie nicht zu Hause, wenn Sie diesen Rat wirklich ernst meinen?«, fragte Mallory.
    »Weil dies mein Heim ist, Sir«, sagte der König. Er steckte Mallorys Geld in seinen Jägerrock. »An schönen Tagen nehmen meine Frau und ich hier drinnen unseren Tee und reden von den alten Zeiten – und über Mauern und Bretterzäune und Plakatwände …«
    »Ich habe in London kein Zuhause; und außerdem rufen mich meine Geschäfte nach Kensington«, sagte Mallory.
    »Das ist ein hübsches Stück von hier, Dr. Mallory.«
    »Ja, das ist richtig«, sagte Mallory. Er zupfte nachdenklich an seinem Bart. »Aber da fällt mir ein, dass es in Kensington jede Menge Museen und Institute gibt, deren Mauern noch nie von einem Plakat berührt worden sind.«
    »Wirklich?« überlegte der König. »Was Sie nicht sagen.«
    Eine gute Meile vom Palast der Paläontologie entfernt verabschiedete sich Mallory vom König; er konnte den Kleistergeruch nicht länger ertragen, und das Schwanken und Schaukeln des Fuhrwerks hatte ihn seekrank gemacht. Er wankte davon, die schweren Rollen der verleumderischen und anarchistischen Plakate unbeholfen gebündelt im schwitzenden Griff. Hinter ihm machten Jemmy und Tom sich mit Eifer daran, die jungfräulichen Ziegelmauern des Instituts für Politische Ökonomie einzukleistern.
    Er lehnte die Plakatrollen gegen einen gusseisernen Laternenpfahl und knotete seinen Atemschutz von Neuem über Nase und Mund. In seinem Kopf drehte es sich übelkeiterregend. Vielleicht, dachte er, hatte dieser Kleister ein wenig Arsen enthalten, oder in der Druckfarbe befand sich ein schädliches Kohlenderivat, denn er fühlte sich vergiftet und schwach bis ins Mark. Als er die Rollen wieder aufhob, knitterte ihr Papier in seinen schwitzenden Händen wie die sich ablösende Haut von einem Ertrunkenen.
    Er hatte, so schien es, der hydraköpfigen Teufelei seines Feindes einen Giftzahn gezogen. Aber dieser kleine Triumph schien geradezu jämmerlich, verglichen mit dem scheinbar unerschöpflichen Vorrat an bösartigem Einfallsreichtum, mit dem der Übeltäter aufwarten konnte. Während er, Mallory, im Dunkeln tappte, konnte der andere zuschlagen, wann und wo er wollte …
    Gleichwohl hatte Mallory eine Information von vielleicht entscheidender Bedeutung erhalten: Kapitän Swing residierte im Bereich der Westindiendocks! Andererseits durfte er sich nicht der Illusion hingeben, dass er den Mann ohne Weiteres aufsuchen und zur Rechenschaft ziehen könne …
    Mallory glitt in einem Haufen frischer Pferdeäpfel aus, gewann mit Mühe das Gleichgewicht zurück und schwang das unhandliche Rollenbündel auf seine rechte Schulter. Es war eine nutzlose Fantasie, sich eine Konfrontation mit dem hinterlistigen Schurken vorzustellen – allein und ohne Unterstützung, während der Mann meilenweit entfernt war, am anderen Ende einer im Chaos versinkenden Stadt, wo der an dere sich in seinem Element fühlen musste. Mallory hingegen war ein Mann, der geordnete und sichere Verhältnisse gewohnt war; die Rückkehr zum Palast der Paläontologie hatte ihm nahezu alles abverlangt, dessen er sich fähig fühlte.
    Er zwang sich zur Konzentration auf das Nächstliegende. Die erbärmlichen Plakate wollte er in den Tresorraum des Pa lastes der Paläontologie schaffen. Sie mochten sich eines Tages als Beweismaterial nützlich erweisen und konnten einstweilen den Platz von Madelines Hochzeitsgeschenk einnehmen. Mit der Uhr aber würde er dieses verwünschte London verlassen und seine Familie aufsuchen, wie er es längst schon hätte tun sollen. Im grünen Sussex, am Busen der Natur, würde es Ruhe und Vernunft und Sicherheit geben. Die Zahnräder seines Lebens würden wieder geordnet ineinandergreifen …
    In den ranzigen Nebeln von Knightsbridge bewegte sich eine Art Prozession in gemessenem Tempo über die Straße. Nach den geisterhaft verschwommenen Umrissen in der Ferne zu urteilen, waren es militärische Dampfwagen, die

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