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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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hast, verglichen mit anderen. Er wird dir Kraft geben, sollten dich Zweifel oder treulose Gedanken anwan deln. Nun nimm das Licht.« Er reichte ihr den Kerzenstummel. »Und sieh zu, dass du dieses Ginfass von einem Bühnentechniker auftreibst. Sag ihm, er soll die Kessel feuern.«
    An diesem Abend speisten sie in den Argyll Rooms in Haymarket, nicht weit von Laurent’s Ballsaal. Das Argyll hatte private Speisezimmer, in denen man eine ganze Nacht verbringen konnte.
    Sybil wunderte sich über die Wahl eines privaten Speisezimmers. Mick schämte sich sicherlich nicht, mit ihr in der Öffentlichkeit gesehen zu werden. Als sie beim Lammbraten saßen, ließ der Kellner jedoch einen untersetzten kleinen Herren mit pomadisiertem Haar und einer goldenen Uhrkette ein, die sich über eine wohlgefüllte Samtweste spannte. Er war rund und plüschig wie eine Kinderpuppe.
    »Hallo, Corny«, sagte Mick, ohne es der Mühe wert zu finden, Messer und Gabel aus den Händen zu legen.
    »’n Abend, Mick«, sagte der Mann mit dem undeutbaren Akzent eines Schauspielers oder Provinzlers, der seit vielen Jahren im Dienst städtischer Herrschaften stand. »Man sagte mir, du würdest mich brauchen.«
    »Ganz recht, Corny.« Mick dachte weder daran, Sybil vorzustellen, noch forderte er den Mann zum Sitzen auf. Sie begann, sich unbehaglich zu fühlen. »Es ist eine kurze Rolle, also sollte es dir nicht schwerfallen, den Text zu behalten.« Mick legte sein Besteck ab, zog einen unbeschriebenen Umschlag aus seinem Mantel und reichte ihn dem Mann. »Deine Zeilen, dein Stichwort und dein Vorschuss. Im Garrick, Samstagabend.«
    Der Mann nahm den Umschlag mit einem humorlosen Lächeln entgegen. »Eine gute Weile her, seit ich zuletzt im Garrick auftrat, Mick.« Er zwinkerte Sybil zu und nahm ohne weitere Formalität seinen Abschied.
    »Wer war das, Mick?«, fragte Sybill. Mick hatte sich wieder seinem Lammbraten zugewandt und löffelte Pfefferminzsoße aus einem Zinngefäß.
    »Ein Schauspieler«, sagte Mick. »Er wird mit dir im Garrick auftreten, während Houston seine Ansprache hält.«
    Sybil war verblüfft. »Auftreten? Mit mir ?«
    »Du bist eine Lehrlingsabenteurerin, vergiss das nicht. Du kannst erwarten, dass du aufgefordert wirst, viele Rollen zu spielen, Sybil. Eine politische Rede kann nur davon profitieren, wenn sie durch Annehmlichkeiten versüßt wird.«
    »Versüßt?«
    »Lass gut sein.« Er schien das Interesse an seinem Lammbraten zu verlieren und schob den Teller beiseite. »Morgen ist noch genug Zeit zum Einüben. Jetzt muss ich dir was zeigen.« Er stand vom Tisch auf, ging zur Tür und verriegelte sie. Darauf kehrte er zurück, hob den Mantelsack aus wasserdichtem Segeltuch vom Teppich neben seinem Stuhl und stellte ihn vor ihr auf das saubere, aber viel gestopfte Leinentischtuch des Argyll.
    Sie war neugierig gewesen, was es mit dem Mantelsack auf sich hatte. Nicht neugierig, dass er ihn vom Garrick-Theater zuerst zur Druckerei getragen hatte, um die Handzettel für Houstons Vortrag zu prüfen, dann weiter zu den Argyll Rooms, sondern weil es ein so billiges Ding war, ganz und gar nicht passend zu den Gegenständen, mit denen er sich sonst gern umgab. Warum sollte ein Stutzer wie Mick mit einem billigen alten Mantelsack herumlaufen, wenn er sich die beste Lederware leisten konnte, mit vernickelten Schnallen und Seidenfutter? Und sie wusste, dass der schwarze Mantelsack nicht mehr die Kinotrop-Karten für den Vortrag enthielt, weil er diese sorgsam in Zeitungspapier gewickelt und wieder hinter dem Bühnenspiegel versteckt hatte.
    Mick öffnete die elenden Blechschnallen, öffnete den Man telsack und hob einen langen, schmalen Kasten aus poliertem Rosenholz heraus, dessen Ecken in blinkendes Messing gefasst waren. Sybil fragte sich, ob der Kasten nicht für ein Teleskop gemacht sei, denn sie hatte Kästen dieser Art im Schaufenster einer Firma in der Oxford Street gesehen, wo solche Instrumente gebaut wurden. Mick handhabte ihn mit einer Vorsicht, die beinahe komisch war, als wäre er irgendein Papist und aufgerufen, den Staub von einem toten Papst zu wischen. In einer plötzlichen Stimmung kindlicher Erwartung vergaß sie den Mann namens Corny und Micks besorgniserregendes Gerede, sie solle mit ihm im Garrick auftreten. Es war jetzt etwas von einem Zauberer an Mick, als er den schimmernden Rosenholzkasten auf das Tischtuch legte. Sie hätte sich nicht gewundert, wenn er die Manschetten umgelegt und gesagt hätte: »Siehst du,

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