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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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weiter durch Whitechapel rollte, verblich seine gehobene Stimmung und machte erhöhter Aufmerksamkeit und aufkommendem Herzklopfen Platz. Mallory rückte nervös an seiner Atemmaske, überprüfte die Funktion der Ballester Molina, tauschte ein paar Worte mit Brian. Doch nachdem alle Zweifel ausgeräumt waren und Leben oder Tod davon abhingen, wie der Würfel rollen würde, gab es wenig zu sagen. Stattdessen beobachtete Mallory, wie sein Bruder mit nervöser Aufmerksamkeit jede Haustür und Durchfahrt musterte, jedes offene Fenster, unter dem sie vorüberfuhren.
    In Limehouse schien jede Wand mit den Ergüssen des Schurken bepflastert zu sein. Manche waren schlicht und einfach verrückt, viele andere hingegen geschickt getarnt. Mallory zählte fünf Plakate von der Sorte, die verleumderisch seinen Vortrag ankündigte. Vielleicht waren auch ein paar unverfälschte Voranzeigen darunter, denn er kam im Vorbeifahren nicht dazu, den Text zu lesen. Der Anblick seines eigenen Namens traf seine erhöhte Empfindlichkeit jedoch mit einem beinahe schmerzhaften Schock.
    Und er war nicht das einzige Opfer dieser absonderlichen Fälschungen zur Rufschädigung. Auf einem amtlich aussehenden Plakat warb die Bank von England um Einlagen von Pfunden Fleisch. Ein scheinbares Angebot von Eisenbahnausflügen erster Klasse forderte die Öffentlichkeit auf, die reichen Fahrgäste zu berauben. So wirkungsvoll war das teuflische Gespött dieser gefälschten Plakate, dass selbst durchaus normale Anschläge den Eindruck erweckten, gefälscht zu sein. Als er die Plakattexte überflog und nach Doppeldeutigkeiten suchte, schien sich jedes Wort in bedrohlichen Unsinn zu verwandeln. Noch nie war Mallory die Allgegenwart der Reklame in London aufgefallen, die betäubende Fülle insistierender Worte und Bilder.
    Eine unerklärliche seelische Erschöpfung überkam ihn, als der Zephyr unangefochten durch die Straßen rumpelte. Es war eine Erschöpfung, die mit der schieren Körperlichkeit der Stadt zu tun hatte, ihrer albtraumhaften Endlosigkeit von Straßen, Plätzen, Höfen und Durchfahrten, von dunstverhüllten Mauern und rußgeschwärzten Ziegeln. Eine Überfülle von Markisen und Flügelfenstern, eine Hässlichkeit von Gerüsten, mit Stricken zusammengebunden; eine schreckliche Vorherrschaft von gusseisernen Straßenlaternen und granitenen Prellsteinen, von armseligen Pfandleihergeschäften, Tabakläden und Kurzwarenhandlungen …
    Ein heiserer Ruf riss Mallory aus seinen Betrachtungen. Maskierte Männer sperrten die Straße vor ihnen, schäbig, drohend und gefährlich. Der Zephyr bremste, dass der Kohlenanhänger beinahe ins Schleudern geriet.
    Mallory sah auf den ersten Blick, dass diese Wegelagerer Gelichter der übelsten Sorte waren. Der Erste, ein verkomme ner junger Bursche mit einem Gesicht wie aus schmutzigem Teig, in einer fettigen Jacke und Cordhosen, hatte eine schmierige Mütze in die Stirn gezogen, aber an den Seiten und hinten konnte sie nicht den Gefängnisschnitt seines Haa res verbergen. Der Zweite, ein stämmiger Rohling von vielleicht fünfunddreißig Jahren, trug einen schmierigen Zylinderhut, karierte Hosen und Schnürstiefel mit Messingspitzen. Der dritte war breitschultrig und o-beinig, mit ledernen Kniehosen und beschmutzten Strümpfen. Er hatte Mund und Nase mit einem langen Schal umwunden.
    Und dann kamen zwei weitere Spießgesellen aus einem geplünderten Eisenwarengeschäft gestürzt – herumlungernde Taugenichtse von jungen Männern mit schmutzigen weiten Hemden und zu engen Hosen. Sie hatten sich im Eisenwarengeschäft spontan bewaffnet – mit einem Plissiereisen der eine, mit einem meterlangen Schüreisen der andere. Anheimelnde Geräte, aber unerwartet grausam und besorgniserregend in den gewalttätigen Händen dieser Strolche.
    Der Mann mit den Messingstiefelspitzen, anscheinend ihr Anführer, zog mit einem höhnischen Grinsen das Taschentuch von seinem Gesicht. »Raus aus dem Wagen!«, befahl er. »Wird’s bald?«
    Aber Fraser war bereits in Bewegung. Er stieg mit ruhiger Selbstsicherheit vor den fünf Raufbolden aus, wie ein Schullehrer, der eine undisziplinierte Klasse zur Ruhe bringen muss. Mit klarer fester Stimme erklärte er: »Damit kommen Sie bei mir nicht durch, Mr. Tally Thompson! Ich kenne Sie – und ich sollte meinen, dass auch Sie mich kennen. Sie sind verhaftet, wegen schwerer Verbrechen.«
    »Das … verdammt!«, stieß Tally Thompson schreckensbleich hervor.
    »Es ist Mr. Fraser!« rief der

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