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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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Volldampf gab. Mallory packte das Lederkoppel seines Bruders und zog ihn zurück. Der Zephyr sauste die Straße entlang und hinterließ einen Schwarm springender, hüpfender Kohlenstücke, die bei der ruckartigen Beschleunigung über die Rückwand des Anhängers gefallen waren. Die Verfolger blieben stehen und starrten dem Zephyr ungläubig nach, dann bückten sie sich wie Idioten und sammelten die herausgefallenen Kohlen auf, als wären es Smaragde.
    »Woher wusstest du, dass sie uns verfolgen würden?«, fragte Mallory.
    Brian klopfte sich mit einem Taschentuch Kohlenstaub von den Hosenbeinen. »Ich wusste es eben.«
    »Aber wieso?«
    »Weil wir hier sind und sie dort, nehme ich an! Weil wir fahren und sie gehen!« Er blickte mit rotem Gesicht zu Mallory auf, als ob ihm die Beantwortung der Frage lästiger wäre als eine Schießerei.
    Mallory lehnte sich zurück, schüttelte den Kopf. »Nimm die Atemmaske«, sagte er und streckte sie ihm hin. »Ich habe sie eigens für dich mitgebracht.«
    Darauf lächelte Brian etwas verlegen und knotete das kleine Ding im Nacken zusammen.
    In Piccadilly waren Soldaten mit aufgepflanzten Bajonetten an den Straßenecken postiert. Sie trugen moderne gefleckte Kampfanzüge und Schlapphüte und aßen Haferbrei aus Kochgeschirren. Mallory winkte diesen Günstlingen der Ordnung fröhlich zu, aber sie starrten mit solch finsterem Argwohn zum Zephyr zurück, dass er seine Bekundungen rasch wieder einstellte. Ein Stück weiter, an der Ecke Long Acre und Drury Lane, bedrängten die Soldaten aus unbekannten Gründen eine kleine Abteilung bestürzter Londoner Polizisten, die wie gescholtene Kinder beisammenstanden und schwächlich ihre unzureichenden Gummiknüppel umfasst hielten. Mehrere hatten ihre Helme verloren, und die meisten trugen primitive Verbände an Händen, Köpfen und Schienbeinen – Zeugnisse ihres unerschrockenen Bemühens um die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung.
    Tom hielt den Zephyr an, um Kohlen in das Feuerungsloch zu schaufeln, während Fraser, gefolgt von Mallory, zu den Polizisten hinüberging, um Neuigkeiten zu erfahren. Sie erhielten die Auskunft, dass die Lage südlich des Flusses völlig außer Kontrolle sei. In Lambeth tobe offener Straßenkampf mit Steinen und Schusswaffen. Der plündernde Mob habe viele Straßen verbarrikadiert. Gerüchten zufolge war die Irrenanstalt Bedlam geöffnet worden, und ihre befreiten Insassen sprangen und tobten durch die Straßen.
    Die Polizisten hatten rußige Gesichter, husteten und waren erschöpft. Jeder diensttaugliche Mann in den Polizeistreitkräften war auf den Straßen, ein Notstandsausschuss hatte die Armee zu Hilfe gerufen und ein allgemeines Ausgehverbot verhängt. Im West End wurden Freiwillige der bürgerlichen Klassen zu Hilfspolizisten gemacht und mit Schlagstöcken und Gewehren ausgerüstet. Wenigstens, dachte Mallory, mach te diese Unheilslitanei alle weiteren Zweifel an der Schicklichkeit ihres eigenen Unternehmens überflüssig. Fraser verzichtete auf Bemerkungen, kehrte aber mit einem Ausdruck finsterer Entschlossenheit zum Zephyr zurück. Jenseits der umkämpften Grenzen der Autorität verschlechterten sich die Verhältnisse rasch. Es war jetzt Mittag, und ein unheilvolles bernsteinfarbenes Licht glomm im schmutzigen Graugelb des Himmels. Auf den Straßenkreuzungen drängten sich Menschenmengen wie Fliegen. Maskierte Londoner zogen durch die Straßen, neugierig, unruhig, hungrig oder verzweifelt, aber ohne Eile, nicht wenige von ihnen jedoch beschäftigt mit destruktiven und verschwörerischen Gedanken. Der Zephyr ließ fröhlich seine Dampfpfeife ertönen und rollte durch die amor phe Menge, die dem Fahrzeug gewohnheitsmäßig Platz machte.
    Ein paar beschlagnahmte Omnibusse patrouillierten die Cheapside, vollgestopft mit gefährlich aussehenden Schlägertypen. Auf den Trittbrettern standen Männer, die mit Pistolen fuchtelten, und auf den Dächern der Dampfbusse war ge stohlenes Mobiliar gestapelt. Thomas wich den schwerfälligen Fahrzeugen mit Leichtigkeit aus. Immer wieder mal knirschte Glas unter den Rädern des Zephyr.
    In Whitechapel kletterten schmutzige barfüßige Kinder wie Affen vier Stockwerke in der Luft auf dem rot gestrichenen Ausleger eines großen Baukrans herum. Brian meinte, dass sie eine Art Spione waren, denn einige von ihnen schwenkten verschiedenfarbige Lumpen und kreischten zu den Leuten auf der Straße hinunter. Mallory hielt es für wahrscheinlicher, dass die Kinder in der

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