Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
Vom Netzwerk:
weiter. Schlimme Geschichte. Unehrenhaft. Das konnten wir nicht dulden, da mussten wir Maßnahmen ergreifen.«
    »Wenigstens war alles bald vorbei«, sagte Mallory. »Man will keinen Krieg, aber es war an der Zeit, dem Zaren Nikolaus eine Lektion zu erteilen. Ich bezweifle, dass der Tyrann den Löwen jemals wieder am Schwanz ziehen wird.«
    Brian nickte. »Es ist ganz verblüffend, was diese neuen Brandgranaten anrichten können. Du verschießt sie zur Flächenwirkung nach einem vorberechneten Feuerplan.« Seine Stimme wurde leiser … »Du hättest Odessa brennen sehen sollen, Ned. Wie ein flammender Wirbelsturm war es …«
    »Ja – ich las darüber. Auch bei der Belagerung von Philadelphia gab es ein ›Sturmfeuer‹, sehr ähnlich, ein bemerkenswertes Prinzip.«
    »Ach«, sagte Brian, »das ist das Problem mit den Yankees – keine militärische Vernunft. So etwas mit den eigenen Städten zu machen! Dazu muss man wirklich der größte Narr sein!«
    »Sonderbare Leute, die Yanks«, murmelte Mallory.
    »Manche Leute sind zu dämlich, um allein zurechtzukommen«, sagte Brian. Wieder blickte er wachsam umher, als Tom den Zephyr am schwelenden Wrack eines Omnibusses vorbeisteuerte. »Bist du mit den Yankees zurechtgekommen, in Amerika?«
    »Ich habe nie welche gesehen, bloß Indianer.« Und je weniger er darüber sagte, desto besser, dachte Mallory. »Übrigens, wie fandest du Indien?«
    »Ein schreckliches Land, Indien«, erwiderte Brian. »Bis an den Rand voll von sonderbaren Wunderdingen, aber schrecklich. In ganz Asien gibt es nur ein Volk mit gesundem Menschenverstand, und das sind die Japaner.«
    »Ich hörte, du hättest an einem Feldzug in Indien teilgenommen«, sagte Mallory. »Aber ich war nie ganz sicher, wer diese ›Sepoys‹ eigentlich waren.«
    »Sepoys sind einheimische Truppen. Wir hatten eine Menge Ärger mit Meuterern, moslemischen Unsinn über Schweinefett in den Gewehrpatronen! Es war reiner abergläubischer Unsinn, aber die Moslems essen kein Schweinefleisch, weißt du, und die Inder sind allesamt für jeden abergläubischen Hokuspokus zu haben. Es sah übel aus, aber der Vizekönig von Indien hatte den Eingeborenenregimentern keine moderne Artillerie gegeben. Eine Batterie Wolseley-Mörserorgeln kann ein Bengali-Regiment in fünf Minuten zur Hölle schicken.«
    Brians golddurchflochtene Epauletten glitzerten, als er mit den Achseln zuckte. »Trotzdem, während der Rebellion sah ich in Meerut und Lucknow Barbareien … Du glaubst nicht, dass Menschen zu so niederträchtigen, entsetzlichen Abscheu lichkeiten imstande sind. Besonders unsere eigenen Eingeborenentruppen, die wir selbst ausgebildet hatten.«
    Mallory nickte. »Fanatiker. Aber der durchschnittliche Inder muss sicherlich dankbar sein, eine ordentliche Zivilverwaltung zu haben. Eisenbahnen, Telegrafen, Aquädukte und so weiter.«
    »Ach, weißt du«, sagte Brian, »wenn du einen Hindufakir in einer Tempelnische sitzen siehst, schmutzig und nackt, mit einer Blume im verfilzten Haar, wer kann sagen, was in diesem Schädel vor sich geht?« Er verstummte, dann zeigte er über Mallorys Schulter. »Da drüben, was tun diese Halunken?«
    Mallory wandte sich und schaute hin. In der Einmündung einer Seitenstraße war das Pflaster von Spielern besetzt, die im Kreis saßen und von müßiggängerischen Zuschauern umgeben waren. »Sie würfeln«, erklärte Mallory. Ein paar schä bige, verwahrlost aussehende Männer – Wächter von einer primitiven Art, gesetzlose Streikposten – standen unter einer Markise, hielten Ausschau und ließen eine Flasche Gin herum gehen. Ein fetter Raufbold begrüßte den vorbeidampfenden Zephyr mit einer obszönen Geste, und seine Gefährten riefen dazu passende Aufforderungen.
    Plötzlich warf Brian sich auf die Plane des Kohlenwagens und spähte über den hölzernen Rand. »Sind sie bewaffnet?«
    Mallory zwinkerte verdutzt. »Ich glaube nicht, dass sie uns etwas anhaben wollen.«
    »Sie werden uns angreifen«, erklärte Brian. Mallory sah überrascht zu seinem Bruder, doch dann erkannte er zu seiner größeren Überraschung, dass Brian die Lage richtig beurteilt hatte. Die schäbigen Gestalten liefen dem Zephyr nach, besessen von einer zornig japsenden Energie, wie Bauernhunde, die eine Kutsche verfolgen. Brian richtete sich halb auf, öffnete die Schnalle seiner Pistolentasche, legte die Hand an den großen, seltsam geformten Pistolengriff …
    … und wurde beinahe aus dem Kohlenkarren geschleudert, als Thomas

Weitere Kostenlose Bücher