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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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richtiger Seemann sagt nie ›Seil‹. Er sagt immer ›Tau‹ oder ›Leine‹!«
    »Was geht es dich an, was ich bin?«, rief Mallory und blickte finster hinauf. »Werft uns ein Tauende herunter, oder eine Leiter. Oder einen verdammten Ballon! Oder geht zum Teufel!«
    »Ganz recht!«, fiel Tom mit unsicherer Stimme ein. »Klugscheißer brauchen wir nicht!«
    Der Anführer wandte sich um, und seine Männer ver schwanden mit ihm. »Beeilt euch!«, brüllte Mallory hinter drein. »Ihr könnt all dieses feine Zeug nicht für euch behalten, wisst ihr!«
    Brian schüttelte den Kopf. »Gott, Ned«, flüsterte er. »Das ist eine verdammt üble Klemme!«
    »Wir werden als Plünderer durchgehen«, sagte Mallory mit halblauter Stimme. »Wir geben uns als ihresgleichen aus, betrunkene Strolche, die für jede Untat zu haben sind! Wir werden uns ihnen anschließen und zu Swing finden!«
    »Und wenn sie uns Fragen stellen, Ned?«
    »Stellst du dich dumm.«
    »Hallo!«, rief eine schrille Stimme von oben.
    »Wass’n los?«, rief Mallory und blickte hinauf. Ein magerer Junge von vielleicht fünfzehn Jahren, ein Tuch vor Mund und Nase gebunden, balancierte auf dem Pfahlwerk, ein Gewehr in den Händen.
    »Lord Byron ist tot!«, schrie der Junge.
    Mallory war wie vor den Kopf geschlagen.
    Tom rief in die plötzliche Stille: »Wer sagt das?«
    »Es ist wahr! Der alte Schinder hat den Löffel weggeschmissen, ist tot wie eine Hammelkeule!« Der Junge lachte übermütig und sprang auf den eingerammten Pfählen weiter, das Gewehr in der Luft schwenkend. Mit einem Satz war er außer Sicht.
    Mallory fand seine Stimme wieder. »Sicherlich nicht.«
    »Nein«, stimmte Fraser zu.
    »Jedenfalls nicht wahrscheinlich.«
    »Wunschdenken vonseiten dieser Anarchisten«, sagte Fraser.
    Darauf folgte ein langes, dumpfes Stillschweigen.
    »Natürlich«, sagte Mallory schließlich und zog nervös an seinem Bart, »wenn der große Redner wirklich tot ist, dann bedeutet das …« In einem lähmendem Ansturm von Verwirrung fehlten ihm die Worte, aber die anderen erwarteten Anleitung von ihm, stumm und aufmerksam. »Nun …«, sagte Mallory, »der Tod Byrons würde das Ende eines Zeitalters der Größe markieren!«
    »Es müsste nicht allzu viel bedeuten«, wandte Fraser mit ruhiger Überlegung ein. »In der Partei gibt es viele Männer von großem Talent. Charles Babbage lebt noch! Lord Colgate, Lord Brunel … der Prinzgemahl, zum Beispiel. Prinz Albert ist ein sehr vernünftiger und nachdenklicher Mann.«
    »Lord Byron kann nicht tot sein!«, platzte Brian plötzlich heraus. »Wir stehen in stinkendem Schlamm und glauben einer stinkenden Lüge!«
    »Lass gut sein«, sagte Mallory. »Wir werden unser Urteil in dieser Angelegenheit aufschieben müssen, bis wir Beweise haben.«
    Tom nickte. »Ned hat recht. Der Premierminister würde es so gewollt haben! Das ist die wissenschaftliche Methode. Das ist, was Lord Byron uns immer gelehrt hat …«
    Ein dickes, geteertes Tau, das Ende zu einer großen Schlinge geknotet, kam heruntergesaust. Der Anarchistenleutnant mit den seidenen Tüchern und der weißen Leinenhose stand mit einem Fuß auf der Pfahlreihe, hatte den Ellbogen aufs Knie gestützt und das Kinn in der Hand. »Steck deinen Arsch da hinein, mein Freund«, schlug er vor, »und wir ziehen dich im Nu herauf!«
    »Verbindlichsten Dank!« Mallory winkte mit fröhlicher Zuversicht und stieg in die Schlinge.
    Als der Zug kam, stemmte er seine schlammverkrusteten Schuhe gegen die schlüpfrigen Pfähle und ging Schritt für Schritt daran hinauf, bis er über den Rand gezogen wurde. Der Anführer warf das Tau wieder hinunter. Er trug feine Glacé handschuhe. »Willkommen, Sir, in der erlauchten Gesellschaft der Vorhut der Menschheit. Gestatten Sie mir, dass ich mich vorstelle: Ich bin der Markgraf von Hastings.« Der Markgraf verbeugte sich leicht. Dann nahm er eine Pose mit erhobenem Kinn und in die Hüfte gestemmter Faust ein.
    Mallory sah, dass der Bursche nicht scherzte; er vertrat seinen Anspruch zumindest halb im Ernst.
    Der Titel eines Markgrafen war ein Relikt aus den Jahren vor dem Machtantritt der Radikalen Partei, doch gab es hier einen jungen Prätendenten, ein lebendes Fossil, sozusagen, und obendrein Befehlshaber dieser Räuberbande! Mallorys Verwunderung hätte kaum größer sein können, wenn er einen jungen Plesiosaurus seinen Schlangenkopf aus den Tiefen der stinkenden Themse hätte recken sehen.
    »Jungs«, sagte der junge Markgraf,

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