Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)
ihnen nichts anderes übrig, als den Graben zu überspringen, und Brian hatte das Pech, auf der anderen Seite abzurutschen. Stinkend und verschmutzt zog er sich hinauf und schüttelte unter wilden Flüchen klebrigen Schlamm von seinen Händen.
Auf der anderen Seite des Grabens wurde die Kruste des getrockneten Schlamms trügerisch. Platten oberflächlich getrockneten Schlamms zerbrachen oder glitten unter den Füßen auf einem zähen Untergrund aus schmierigem Schlick und blubbernden Gasblasen. Schlimmeres jedoch erwartete sie in der Zufahrt zu den Docks. Hier bestanden die Uferbefestigungen aus eingerammten, geteerten Pfählen, die einen Pelz aus schlüpfrigen grünen Algen trugen und sich fünf Meter über die Wasserlinie erhoben. Und das Wasser, das den breiten, ausgebaggerten Kanal von einem Ufer zum anderen füllte, war ein scheinbar bodenloser grauer Sumpf, aus dessen Tiefe schenkeldicke Bündel grünlicher Schleimalgen wogten.
»Was nun?«, fragte Mallory. »Schwimmen?«
»Niemals!«, rief Brian.
»Hinaufklettern?«
»Können wir nicht«, ächzte Tom mit einem hoffnungslosen Blick zu den schleimigen Pfählen. »Wir müssen umkehren!«
»Ich würde mir in dieser Brühe nicht die Hände waschen!«, erklärte Brian. »Und meine Hände sind mit stinkendem Schlamm verklebt.«
»Still jetzt!«, zischte Fraser. »Swings Leute werden uns hören. Und wenn sie uns hier unten erwischen, werden wir wie Hunde abgeknallt! Lassen Sie mich überlegen.«
Brian ignorierte ihn. »Mein Gott, der Gestank!« Er schien der Panik nahe. »Das ist schlimmer als im Truppentransporter – schlimmer als in einem russischen Graben! Bei Inkerman haben sie Russen begraben, die seit Wochen im Freien gelegen hatten, und das roch besser als dies hier!«
»Halten Sie endlich den Mund!«, flüsterte Fraser. »Ich höre was.«
Schritte mehrerer Männer näherten sich oben am Kanalufer. »Sie haben uns«, sagte Fraser in nüchterner Einschätzung des Unabwendbaren. Er blickte am Pfahlwerk hinauf und legte eine Hand an seine Pistole. »Unsere Stunde ist gekommen – verkaufen wir unser Leben teuer!«
Aber in einem Augenblick – einer Serie von Augen blicken, die so kurz waren, dass sie dem menschlichen Geist normalerweise nutzlos sein mussten – durchfuhr Mallory die Inspiration wie eine alpine Windbö.
»Nein!«, befahl er den anderen in einem Ton völliger Über zeugung. »Nicht hinaufschauen! Macht es wie ich!« Und er begann mit lauter, etwas lallender Stimme ein Seemannslied zu singen:
»In Santiago ist es gut zu lieben,
Und wir vergessen, die zurückgeblieben –
So küsst uns lang und küsst uns schnell
Polly und Meg und Kate und Neil.«
»Nun los, macht schon!«, drängte er die anderen mit ausholender Armbewegung. Tom und Brian stimmten verspätet und mit stockenden, dünnen Stimmen in den Refrain ein:
»Lebt wohl, lebt wohl, ihr holden Schönen,
Nach Rio setzen wir die Segel!«
»Nächste Strophe!«, krähte Mallory.
»In Vera Cruz, da rinnt der Schweiß,
Die Mädchen hier, sie mögen’s heiß …«
»Ahoi!«, rief eine raue Stimme von der Uferbefestigung. Mallory spähte in gespielter Überraschung hinauf und sah in verkürzter Perspektive ein halbes Dutzend Marodeure mit umgehängten Gewehren am Rand des Pfahlwerks stehen. Der Sprecher hatte Kopf und Gesicht in zusammengeknotete Seidentücher gehüllt und ließ einen schimmernden, langläufigen Revolver mit scheinbarer Nachlässigkeit in der Hand baumeln. Seine Hosen aus weißem Segeltuch sahen makellos sauber aus.
»Ahoi die Küste!«, rief Mallory mit schwerer Zunge, den Kopf im Nacken. Er breitete die Arme in jovialer Gebärde aus und fiel beinahe hintüber. »Wie können wir euch feinen Herren zu Diensten sein?«
»Seht euch die Schmutzfinken an!«, sagte der Sprecher zu seinen Begleitern. Dann hob er die Stimme: »Der Gestank allein reicht euch noch nicht, wie? Ihr musstet selbst hinein in den Dreck!«
»Klar!«, sagte Mallory. »Wir wollen nämlich die West indiendocks sehen!«
»Warum?«
Mallory lachte. »Weil die Lagerhäuser voll von Zeug sind, das wir brauchen können, versteht sich.«
»Saubere Hemden, zum Beispiel?«, fragte einer der andern Männer. Es gab Gelächter, vermischt mit Grunzen und Husten.
Mallory lachte auch und schlug sich auf die nackte Brust. »Warum nicht? Könnt ihr uns helfen? Ein Seil oder was herunterwerfen?«
Der Anführer spähte misstrauisch zwischen seinen seidenen Kopftüchern hervor. »Du bist kein Seemann! Ein
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