Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)
Fernglas gehabt. »Führt es die Flagge der Konföderation? Ich wusste nicht, dass wir hier in England Schiffe dieser Art haben … Nein, ich sehe, es führt den Union Jack.«
»Seht nur, wie die Schaufelräder das Wasser aufwühlen!«, staunte Tom. »Das Wasser muss schlammig wie Gelee sein.«
Niemand hatte Lust, das Thema zu vertiefen. Fraser zeigte flussabwärts. »Passen Sie auf. In der Richtung liegt ein tief ausgebaggerter Schiffskanal, der zu den Ankerplätzen der Westindien-Docks führt. Bei diesem niedrigen Wasserstand könnte man durch diesen Kanal gehen und dann ungesehen bis in die Docks gelangen.«
»Sie meinen, wir sollen durch den Uferschlamm stapfen?«, fragte Mallory.
»Nein!«, sagte Brian. »Es muss eine andere Möglichkeit geben.«
Fraser schüttelte den Kopf. »Ich kenne die Docks. Zur Landseite sind sie durch eine drei Meter hohe Mauer abgeschlossen. Die Mauerkrone ist durch einzementierte Glassplitter zusätzlich gesichert. Es gibt Toreinfahrten und einen Gleisanschluss, aber die werden scharf bewacht sein. Swing hat sich sein Hauptquartier klug gewählt. Es ist fast wie eine Festung.«
»Wird Swing nicht auch die Uferfront bewachen lassen?«, fragte Brian.
»Aber klar«, erwiderte Fraser. »Doch wie viele Leute werden über diesen stinkenden Schlammflächen Ausschau halten, für Swing oder sonst jemanden?«
Mallory nickte, überzeugt. »Er hat recht, Jungs.«
»Aber wir werden uns bis zum Hals mit diesem stinkenden Schmutz besudeln!«, protestierte Brian.
»Wir sind nicht aus Zucker«, grunzte Mallory.
»Aber meine Uniform, Ned! Weißt du, was mich dieser Waffenrock gekostet hat?«
»Wenn wir fertig sind, tausche ich meinen Dampfwagen gegen deine goldenen Epauletten«, schlug Tom vor.
Brian starrte ihn an und verzog schmerzlich das Gesicht.
»Dann müssen wir uns eben ausziehen, Jungs«, befahl Mallory und entledigte sich seiner Jacke. »Als ob wir Bauernburschen wären, die an einem schönen Morgen in Sussex süßes Heu aufladen. Versteckt eure guten Sachen hier im Schutt – und beeilt euch!« Mallory entkleidete sich bis zum Gürtel, steckte die Pistole in den Hosenbund und krempelte die Hosenbeine bis über die Knie auf. Dann ließ er sich die schlüpfrige Ziegelmauer hinunter und landete halb rutschend, halb fallend im Schlamm.
Nahe der Mauer war der Schlamm unerwartet fest und halb getrocknet. Die Füße sanken nicht tiefer ein als in Waldboden. Mallory lachte und winkte den anderen. Sie kamen nach, Brian als Letzter. Er stieß mit seinem gewachsten und polierten Stiefel einen zerbrochenen, im Schlamm steckenden Teller fort. »Ich muss schön dumm sein, dass ich mich von dir aus der Uniform schwatzen ließ!«
Fraser hatte seinen Kragen abgenommen und war in einem weißen Hemd und Hosenträgern – einem überraschend gecken haften Artikel aus moirierter scharlachroter Seide. In einem neuen Schulterhalfter aus chamoisfarbenem Leder steckte eine gedrungene kleine Pfefferstreuerpistole. Mallory bemerkte die Verdickung der sauber gepolsterten Bandage unter Hemd und Gurt. »Machen wir uns nichts daraus«, sagte Fraser und übernahm die Führung: »Es gibt Leute, die ihr ganzes Leben im Schlamm der Themse verbringen.«
»Wer soll das sein?«, fragte Tom.
»Fleetenkieker«, sagte Fraser. »Im Winter wie im Sommer stapfen sie bei Ebbe durch den Schlamm des Flusses und der Seitenkanäle. Suchen nach Kohlen, rostigen Nägeln, alten Töpfen und allen Abfällen und angetriebenen Gegenständen, die im Verkauf einen Penny bringen.«
»Machen Sie Witze?«, fragte Tom.
»Meistens sind es Kinder«, beharrte Fraser ruhig, »und alte Frauen. Oft waten sie bis zu den Hüften im Schlamm.«
»Das glaube ich Ihnen nicht«, sagte Brian. »Wenn Sie mir sagen würden, so etwas gäbe es in Bombay oder Kalkutta, würde ich es zugeben. Aber nicht in London!«
»Da müssen Sie sich eines Besseren belehren lassen«, versetzte Fraser.
Schweigend gingen sie weiter, atmeten den warmen Kloakengestank und versuchten sich daran zu gewöhnen. Einmal blieb Tom stehen und zeigte Mallory das in den Schlamm eingebettete, fast vollständig erhaltene Gerippe eines Fisches. »Schau her, Ned – ein Fossil der Zukunft! Glaubst du, dass es in der Themse noch einen lebenden Fisch gibt?«
Mallory grunzte nur. Wenige Schritte weiter stießen sie auf das Hindernis eines ausgebaggerten schlammigen Grabens, halb angefüllt mit schwarzem Schlamm, der marmorartig von talgig bleichen Adern durchzogen war. Es blieb
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