Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)
sich. Er wischte sich Speichel vom Bart und merkte, dass er an einer Statue lehnte. Es war eine lebensgroße Inderin aus Steinguss, halb nackt, mit einem Wasserkrug auf der Hüfte. Natürlich war auch der Krug aus massivem Steinguss, aber sein Anblick weckte in Mallory gieriges Verlangen nach einem reinigenden, lindernden Schluck Wasser.
Jemand klopfte ihm fest auf den Rücken. Er wandte sich um, erwartete, Tom oder Brian zu sehen, musste aber feststellen, dass der Markgraf ihm nachgegangen war.
»Na, besser jetzt?«
»Ein vorübergehender Anfall«, krächzte Mallory. Er machte eine wedelnde Bewegung mit der Hand, noch unfähig, sich ganz aufzurichten.
Der Markgraf steckte ihm eine kleine, geschwungene silber ne Flasche in die Hand. »Hier«, sagte er. »Das wird helfen.«
Mallory, der Brandy erwartete, setzte die Flasche an den Mund. Ein süßliches Gebräu, das ein wenig nach Lakritze schmeckte, machte sich in seinem Mund breit. Er schluckte zuerst widerwillig, dann jedoch dankbar. »Was … was ist das?«
»Eine von Dr. Bartons Kräuterarzneien«, erklärte der Markgraf. »Ein besonders gutes Mittel gegen die schädlichen Ausdünstungen. Hier, ich gieße dir ein paar Tropfen auf die Atemmaske; die ätherischen Öle werden deine Bronchien frei machen.«
»Lieber nicht«, murmelte Mallory.
»Kannst du denn zum Vortrag zurückkehren?«
»Nein, nein.«
Der Markgraf musterte ihn mit skeptischem Blick. »Dr. Barton ist ein medizinisches Genie! Sie war die erste Frau, die cum laude an der Universität Heidelberg in Deutschland promovierte. Wenn du wüsstest, welche Wunder sie unter den Kranken in Frankreich wirkte, den armen Teufeln, die von den sogenannten Fachleuten aufgegeben worden waren …«
»Ich weiß«, stieß Mallory hervor. Allmählich kehrten seine Kräfte zurück und mit ihnen ein starker Drang, dem Markgrafen an die Gurgel zu gehen und diesen verdammten und gefährlichen kleinen Dummkopf zu schütteln, bis der Unsinn wie Paste aus ihm herausgequollen kam. Er verspürte ein selbstmörderisches Verlangen, mit der Wahrheit herauszuplatzen, dass er diese Barton als eine Giftmischerin und Ehebrecherin kannte, eine vitrioleuse , die in mindestens zwei Ländern von der Polizei gesucht wurde.
Doch der kühle Verstand siegte. »Ich würde lieber mit Ihnen reden, Genosse Markgraf«, sagte er, »statt mir einen Vortrag anzuhören.«
»Wirklich?«
Mallory nickte. »Ich … ich finde, man profitiert immer davon, wenn man auf einen Mann hört, der sein Geschäft versteht.«
»Ich werde nicht schlau aus dir, Genosse«, sagte der Mark graf. »Manchmal scheinst du ein typischer egoistischer Dummkopf zu sein, dann wieder ein Mann von Bildung und Verstand – jedenfalls ein gutes Stück über deinen Freunden.«
»Bin ein bisschen herumgekommen«, sagte Mallory wegwerfend. »Kann sein, dass es den Horizont erweitert.«
»Wo bist du gewesen, Genosse?«
Mallory zuckte mit den Achseln. »Argentinien. Kanada. Auf dem Kontinent, da und dort.«
Der Markgraf sah sich um, als hielte er nach Spionen Ausschau, die in den Kronleuchtern und Vogelbädern lauerten. Als keine zu sehen waren, schien er sich ein wenig zu entspannen. »Kennst du vielleicht den amerikanischen Süden? Die Konföderation?«
Mallory schüttelte den Kopf.
»Da gibt es eine Stadt namens Charleston in South Carolina, eine bezaubernde Stadt mit einer großen Gemeinde von Briten aus guten Familien, die ins Exil flohen, als die Radikale Partei an die Macht kam. Britanniens ruinierter Adel.«
»Sehr interessant«, sagte Mallory.
»Charleston ist so fein und gebildet wie jede Stadt in England.«
»Und Sie sind dort geboren?«, fragte Mallory. »Es muss Ihnen in Charleston gut gegangen sein, wenn Sie einen Schwarzen besitzen.«
»Ich hoffe, du gehörst nicht zu diesen bigotten Gegnern der Sklaverei«, sagte der Markgraf. »Es gibt hierzulande viele von der Sorte. Denen wäre es lieber, wenn ich den armen Jupiter in die Fieberdschungel von Liberia schicken würde!«
Mallory unterdrückte eine Meinungsäußerung zur Sache. Er war in der Tat ein Gegner der Sklaverei und unterstützte die Repatriierung der Schwarzen nach Afrika.
»Der arme Jupiter würde in Liberia nicht einen Tag überleben«, erklärte der Markgraf. »Weißt du, dass er lesen und schreiben kann? Ich selbst habe es ihm beigebracht. Er liest sogar Gedichte.«
»Ihr Schwarzer liest Verse?«
»Nicht ›Verse‹ – Poesie. Die großen Dichter, John Milton, zum Beispiel – aber von
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