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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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dem wirst du nie gehört haben.«
    »Einer von Cromwells Ministern«, sagte Mallory ohne zu zögern. »Autor der Areopagitica .«
    Der Markgraf nickte. Er schien erfreut. »John Milton schrieb ein episches Gedicht, Das verlorene Paradies. Es ist eine biblische Geschichte in reimlosen Versen.«
    »Ich bin Agnostiker«, sagte Mallory.
    »Sagt dir der Name William Blake etwas? Der schrieb und illustrierte seine eigenen Gedichte.«
    »Konnte keinen richtigen Verleger finden, wie?«
    »Es gibt noch immer gute Dichter in England. Hast du jemals von John Wilson Croker gehört? Winthrop Mackworth Praed? Bryan Waller Procter?«
    »Kann mich nicht erinnern«, gab Mallory zu. »Ich lese nur hin und wieder ein bisschen – meistens Schauerromane.« Er wunderte sich über das seltsame Interesse des Markgrafen an diesem Gegenstand. Und er sorgte sich um Tom und die anderen – was mussten sie denken, wenn sie dasaßen und auf ihn warteten? Falls sie die Geduld verloren und sich zu übereilten Handlungen hinreißen ließen, könnte das fatale Folgen haben.
    »Percy Bysshe Shelley war ein Dichter, bevor er in der Zeit der Unruhen die Ludditen anführte«, fuhr der Markgraf fort. »Wisse, dass Percy Shelley lebt! Byron verbannte ihn auf die Insel St. Helena. Dort lebt er als Gefangener in dem Haus, das vor ihm Napoleon I. bewohnte. Manche sagen, er habe dort mehrere Schauspiele und Sonette geschrieben.«
    »Das kann nicht sein«, hielt Mallory dagegen. »Shelley starb vor langer Zeit im Gefängnis.«
    »Er lebt«, widersprach der Markgraf. »Nicht viele wissen das.«
    »Als Nächstes werden Sie sagen, dass auch Charles Babbage Poesie geschrieben habe«, sagte Mallory. »Was für einen Sinn hat das?«
    »Es ist eine Theorie von mir«, sagte der Markgraf. »Nicht so sehr eine richtige Theorie als vielmehr poetische Eingebung. Aber seit ich die Schriften von Karl Marx – und natürlich die des großen William Collins – studiert habe, ist mir aufgegangen, dass dem wahrhaften und natürlichen Verlauf der geschichtlichen Entwicklung schlimme Gewalt angetan worden ist.« Er hielt inne, lächelte. »Aber ich bezweifle, dass du mich verstehen kannst, mein armer Genosse.«
    Mallory schüttelte den Kopf. »Ich verstehe gut genug. Eine Katastrophe, meinen Sie.«
    »Ja. So kann man es durchaus nennen.«
    »Die Geschichte wirkt durch Katastrophen! Das ist die Natur der Welt, die einzige, die es gibt, gegeben hat und jemals geben wird. Es gibt keine Geschichte – es gibt nur Zufälle!«
    »Das ist völliger Unsinn!«
    Mallory fühlte sich auf seinem ureigenen Gebiet angegriffen und reagierte ärgerlich. »Ihr Kopf ist voll von Phantomen! ›Geschichte‹! Sie denken, Sie müssten einen Titel und Ländereien haben und ich sollte in Lewes Hüte machen und verrotten. Mehr ist nicht daran! Ich sage Ihnen, die Radikalen kümmert es keinen Pfifferling, was Sie oder Marx oder Collins oder irgendeiner von Ihren Dichtern sagt! Sie werden euch alle hier umbringen wie Ratten in einer Grube mit Sägemehl.«
    »Du bist nicht, was du scheinst«, sagte der Markgraf. Er war blass geworden. »Wer bist du? Was bist du?«
    Mallory antwortete nicht. Er spannte die Muskeln.
    Die Augen des jungen Mannes weiteten sich. »Ein Spion!« Er griff zur Waffe.
    Mallory kam ihm mit einer rechten Geraden ins Gesicht zuvor: Als der Markgraf zurücktaumelte, ergriff Mallory ihn beim Arm und schlug ihm den schweren Lauf der Ballester Molina einmal, zweimal über den Kopf. Der Markgraf fiel blutend und schlaff zu Boden.
    Mallory nahm die zweite Pistole an sich, richtete sich auf, sah sich um.
    Der Schwarze stand keine fünf Schritte entfernt.
    »Ich habe es gesehen«, sagte er.
    Mallory blieb still. Er zielte mit beiden Waffen auf den Mann.
    »Sie haben meinen Herrn niedergeschlagen. Haben Sie ihn getötet?«
    »Ich glaube nicht«, sagte Mallory. »Wenn du um Hilfe rufst oder Lärm schlägst, muss ich dich niederschießen.«
    »Wenn Sie ihn getötet haben, werde ich rufen«, sagte der Schwarze.
    Mallory blickte zurück. »Er atmet noch.«
    Es blieb eine Weile still. Der Schwarze stand bewegungslos da, steif, unschlüssig. Schließlich seufzte er und sagte: »Ich gehe zurück.« Er machte auf dem polierten Schuhabsatz kehrt und ging ohne Eile davon, verschwand zwischen den Warenstapeln.
    Mallory war überzeugt, dass der Mann nicht um Hilfe rufen würde, wartete aber einige Augenblicke, ob die Überzeugung ihre Bestätigung finden würde. Der Markgraf regte sich und stöhnte.

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