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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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Mallory zog ihm das seidene Tuch vom blonden Lockenkopf und knebelte ihn damit.
    Es war Sache eines Augenblicks, ihn hinter eine massive Gartenvase aus Terrakotta zu ziehen.
    Der Schock der Gewalttat trocknete Mallory den Mund aus. Seine Kehle war rau wie Sandpapier. Er tastete die Jackentaschen des Markgrafen ab und zog die silberne Flasche mit Kräuterabsud heraus. Der Geschmack war fade und hinterließ ein taubes Prickeln auf der Wurzel seiner Zunge, wie trockener Champagner, aber irgendwie erfrischte ihn das Getränk auch. Er spülte sich den Mund aus und schluckte, bis die unangenehme Trockenheit vergangen war. Dann kehrte er zum Vortragsraum zurück und nahm einen Platz neben Fraser ein. Der Beamte hob in stummer Frage eine Augenbraue. Mallory klopfte an den Kolben der erbeuteten Pistole, die neben der Ballester Molina in seinem Hosenbund steckte. Fraser nickte kaum merklich.
    Florence Russell Bartlett redete noch immer. Ihr bühnenwirksamer Auftritt schien das Publikum in geradezu okkulter Weise zu lähmen. Mit Bestürzung und Widerwillen sah Mallory, dass Mrs. Bartlett quacksalberische Vorrichtungen zur Schwangerschaftsverhütung zur Schau stellte. Eine Scheibe aus weichem Gummi, ein Stück Schwamm mit einem Faden daran. Mallory konnte nicht umhin, sich den Koitus unter Zuhilfenahme dieser sonderbaren Objekte vorzustellen.
    »Eben hat sie ein Kaninchen getötet«, raunte Fraser ihm zu. »Tunkte seine Nase in Zigarrenessenz.«
    »Ich habe den Mann nicht umgebracht«, flüsterte Mallory zurück. »Gehirnerschütterung, nehme ich an.«
    Mrs. Bartlett erörterte inzwischen Pläne zur Zuchtwahl beim Menschen, um den rassischen Grundstock der Menschheit zu verbessern. In ihrer Zukunft, so schien es, sollte die normale Ehe abgeschafft werden. »Allgemeine freie Liebe« sollte die Vorstellungen von Keuschheit und Sittlichkeit ersetzen. Die Fortpflanzung hingegen würde eine Sache für Fachleute sein; Schwangerschaften würden nur nach Prüfung der körperlichen und geistigen Anlagen beider Elternteile und ihrer Eignung genehmigt. Die Ideen bewegten sich wie dunkle Schatten im Randbereich von Mallorys Bewusstsein. Ohne unmittelbaren äußeren Anlass fiel ihm ein, dass dieser Tag – sogar dieser selbe Nachmittag – der vorgesehene Termin für seinen Vortrag über den Brontosaurus war, mit Kinotrop-Begleitung durch Mr. Keats.
    Plötzlich beugte sich Brian an Fraser vorbei und packte Mallorys Handgelenk mit eisernem Griff. »Ned«, zischte er, »lass uns von hier verschwinden!«
    »Noch nicht«, sagte Mallory, aber auch er wusste, dass sie nicht mehr lange untätig bleiben konnten. Früher oder später musste der Markgraf wieder auf die Beine kommen, und dann … »Wir wissen noch nicht, wo Swing sich versteckt; er könnte überall in diesem Labyrinth sein …«
    »Genossen!«, rief die Bartlett mit einer Stimme wie ein kaltes Rasiermesser. »Ja, ihr vier dort hinten! Wenn ihr uns stören müsst – wenn ihr Neuigkeiten von so großem Interesse habt –, dann solltet ihr sie mit den anderen Genossen in der Versammlung teilen!«
    Mallory und seine Gefährten erstarrten.
    Bartlett beharkte sie mit einem Medusenblick. Die anderen Zuhörer, durch die Unterbrechung aus dem Bann ihrer Aufmerksamkeit gerissen, wandten den Kopf, um mit blutdürstigem Vergnügen die Opfer von Mrs. Bartletts Zorn zu sehen.
    Tom und Brian sahen einander an. »Meint die uns ?«, flüsterte Tom.
    »Gott, was machen wir?«
    Mallory fühlte sich in einem Albtraum gefangen. Ein Wort, dachte er, könnte die anderen vielleicht auf seine Seite ziehen. »Sie ist bloß eine Frau«, sagte er mit lauter und ruhiger Stimme. »Man muss nicht so ernst nehmen, was sie sagt.«
    Fraser ächzte neben ihm. »Seien Sie still!«
    »Ihr habt uns nichts zu sagen?«, rief Mrs. Bartlett. »Das dachte ich mir …«
    Mallory stand auf. »Ich habe etwas zu sagen!«
    Mit der Schnelligkeit von Schachtelmännchen sprangen drei Männer im Publikum auf und hoben die Hände. »Dr. Barton! Dr. Barton?«
    Bartlett nickte freundlich, zeigte mit ihrem Stock. »Genosse Pye hat das Wort.«
    »Dr. Barton«, rief Pye, »ich kenne diese Genossen nicht. Sie benehmen sich regressiv, und ich … ich glaube, sie sollten kritisiert werden.«
    Eine erwartungsvolle Stille legte sich über die Menge.
    Fraser zerrte an Mallorys Hosenbein. »Setzen Sie sich hin, Sie Dummkopf! Haben Sie den Verstand verloren?«
    »Ich habe Neuigkeiten!«, rief Mallory durch seinen Atemschutz. »Neuigkeiten für

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