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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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an ihm vorbei zum nächsten Kunden.
    Mallory räusperte sich und sagte: »Nehmen Sie auch einen Scheck an?«
    »Selbstverständlich, Sir«, antwortete der Mann und hob eine Augenbraue, als hätte er erst jetzt Mallorys Mütze und Mantel bemerkt. »Vorausgesetzt, der Scheck trägt Ihre aufgedruckte Bürger-Nummer.«
    »In diesem Fall«, sagte Mallory zu seiner eigenen Verblüf fung, »werde ich zusätzlich vierzig Pfund auf den Zephyr setzen.«
    »Auf Gewinn, Sir?«
    »Auf Gewinn.«
    Mallory hielt sich etwas darauf zugute, ein ziemlich scharfer Beobachter seiner Mitmenschen zu sein. Er besaß, wie Gideon Mantell ihm vor langer Zeit schon versichert hatte, das scharfe Auge des Naturforschers, das sofort das Wesentliche erkannte. Und tatsächlich verdankte er seine gegenwärtige Position in der wissenschaftlichen Hierarchie vor allem dem Umstand, dass er dieses Auge auf einer monotonen Strecke eines geröllübersäten Flussufers in Wyoming erprobt hatte, wo es inmitten einer scheinbar gestaltlosen Wüstenei aus Steinbrocken Formen unterschieden hatte.
    Nun jedoch fand er, bestürzt über den Leichtsinn seiner Wette und die Ungeheuerlichkeit der Folgen im Falle des Verlustes, keinen Trost in der Anwesenheit und Verschiedenartigkeit der Zuschauermenge. Das vieltausendstimmige Geschrei massierter und leidenschaftlicher Gier, während die Pferde ihre Runden liefen, war mehr, als er ertragen konnte. Beinahe fluchtartig verließ er die Tribünen und hoffte, seine nervöse Energie durch Herumlaufen abzubauen. Bei den Geländern des Einlaufes hatte sich eine dichte Masse von Fahr zeugen und Menschen versammelt, deren Letztere in begeisterte Anfeuerungsrufe ausbrachen, als das Feld der Rennpferde in einer Staubwolke vorbeijagte. Ärmere Leute wie diese, meistenteils nicht gewillt, einen Shilling Eintrittsgebühr für die Tribünen zu entrichten, setzten sich damit einer ungleich größeren Gefahr aus, ihr Geld zu verlieren, denn hier war das Betätigungsfeld jener, die auf Unvorsichtigkeit und Ablenkung der Zuschauer spekulierten: Taschendiebe, Zigeuner, Wettbetrüger. Er drängte sich zum äußeren Rand der Menge durch, wo er Luft zu schöpfen hoffte.
    Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass er einen seiner Wettzettel verloren haben könnte. Der Gedanke lähmte ihn beinahe. Er blieb stehen, stieß die Hände suchend in die Taschen.
    Nein – die dünnen blauen Zettel waren noch da, seine Eintrittskarten zum Unheil …
    Der Augenblick seiner Unachtsamkeit genügte, dass er um ein Haar von einem Pferdegespann zu Boden gestoßen worden wäre. Erschrocken und zornig griff Mallory nach dem Zaumzeug des näheren Pferdes, gewann sein Gleichgewicht zurück und rief eine Warnung.
    Eine Peitsche knallte über seinem Kopf. Der Lenker des Gespanns versuchte, seinem offenen Landauer einen Weg durch die Menschenmenge zu bahnen. Der Mann war kein Kutscher, sondern ein geckenhaft gekleideter Besucher der Rennbahn, aufgeputzt in einem Anzug von leuchtendem Blau, mit einem großen unechten Rubin an einer Krawatte von grellfarbiger Seide. Unter der Blässe einer wie geschwollen vorgewölbten Stirn, betont durch dunkle, unordentliche Locken, waren seine schwarzen, glänzenden Augen in ständiger Bewegung, sodass er gleichzeitig überallhin zu blicken schien – nur nicht zur Rennbahn, die noch immer die Auf merksamkeit der Menge auf sich zog. Ein eigenartiger Bursche, und Teil eines noch eigenartigeren Trios, denn die Passagiere im Landauer waren zwei Frauen.
    Eine, verschleiert, trug ein dunkles, beinahe männlich wirkendes Kleid; und als der Landauer hielt, erhob sie sich unbeholfen und griff nach dem Wagenschlag. Wie betrunken wan kend, versuchte sie, über den Wagentritt auszusteigen, behindert durch einen länglichen Holzkasten, der dem Behältnis eines Musikinstruments ähnelte. Aber die zweite Frau packte ihre verschleierte Gefährtin, bevor diese den Wagen verlassen konn te, und zog sie mit einem heftigen Ruck zurück in den Sitz.
    Mallory, der mit einer Hand noch immer das Zaumzeug hielt, war verblüfft und starrte die zweite Frau an, denn diese war eine rothaarige Prostituierte in den auffälligen Kleidern und der herausfordernden Aufmachung, wie sie einem Ginpalast oder Schlimmerem angemessen sein mochten. Ihr hübsches, aber vulgär geschminktes Gesicht zeigte einen Ausdruck rücksichtsloser Entschlossenheit.
    Während Mallory noch hinsah, schlug die rothaarige Prostituierte der verschleierten Dame mit geübter Bösartigkeit und

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