Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)
etwas Glänzendes in der Hand – es schien eine Glasphiole zu sein, so merkwürdig ihm dies unter den Umständen auch vorkam. Ihr Blick ging zum Boden, aber Mallory trat vorsorglich zwischen sie und den langen hölzernen Kasten. Es folgte ein Augenblick gespannter Konfrontation, wäh rend die Rothaarige ihre Alternativen abzuwägen schien, dann eilte sie an die Seite des Besiegten.
»Ich werde Sie restlos vernichten!«, wiederholte der Mann mit blutigen Lippen. Die Frau half ihm auf die Beine. Die Umstehenden verhöhnten ihn als Feigling und leeren Prahler.
»Versuch’s«, sagte Mallory und schüttelte die Faust.
Die Augen des Geschlagenen starrten ihn in schwelendem Hass an, aber der Mann war zu keinem neuerlichen Angriff mehr fähig; gestützt auf die Rothaarige, tappte er wankend durch die Menge davon. Mallory hob triumphierend den Kas ten auf und ging durch den Ring der lachenden Zuschauer zum Wagen. Einer der Männer schlug ihn herzhaft auf den Rücken.
Er bestieg den Landauer, wo es nach Leder und abgenutztem Samt roch. Der Lärm der Menge ließ nach; das Rennen war vorüber; jemand hatte gewonnen.
Die Dame saß zusammengesackt im Polster, ihr Atem bewegte den Schleier. Mallory hielt Umschau nach möglichen Angreifern, sah aber nur die Menge; sah es alles in einer sonderbaren Art und Weise, als wäre der Augenblick erstarrt, daguerreotypiert durch einen fabelhaften Prozess, der noch die feinste Schattierung des Spektrums festhielt.
»Wo ist meine Anstandsdame?«, fragte die Frau mit leiser, verwirrter Stimme.
»Wer könnte Ihre Anstandsdame sein, Madam?«, fragte Mallory zurück. »Ich glaube nicht, dass Ihre Begleiter die passende Gesellschaft für eine Dame waren …«
Er blutete aus der Wunde an seiner linken Hüfte; es sickerte durch sein Hosenbein. Eilig ließ er sich auf den Sitz nieder und drückte die Handfläche gegen die Verletzung, dann beugte er sich näher und spähte durch den Schleier der Frau. Ringel locken, blond und von grauen Strähnen durchzogen, verrieten die unermüdliche Zuwendung einer begabten Kammerzofe. Aber das Gesicht kam ihm seltsam bekannt vor.
»Kenne ich Sie, Madam?«, fragte Mallory.
Er blieb ohne Antwort.
»Darf ich Sie begleiten?«, schlug er vor. »Haben Sie beim Derby standesgemäße Freunde? Leute, die sich Ihrer an nehmen?«
»Die Königliche Einfriedung«, murmelte sie.
»Die Königliche Einfriedung?«, wiederholte Mallory verwirrt. Die Vorstellung, die Königliche Familie mit dieser benommenen oder sogar geistesgestörten Frau zu behelligen war mehr, als Mallory auf sich zu nehmen bereit war. Dann fiel ihm ein, dass es sehr einfach sein würde, dort Polizei anzutreffen; und dies war unzweifelhaft ein Fall für die Polizei.
Am einfachsten wäre es, auf die unglückliche Frau einzugehen. »Sehr gut, Madam«, sagte er, steckte den hölzernen Kasten unter einen Arm und bot ihr den anderen Ellbogen. »Wir gehen sofort zur Königlichen Einfriedung. Wenn Sie bitte mit mir kommen wollen.«
Er half ihr aus dem Landauer und führte sie leicht hinkend zu den Tribünen, durch einen Strom von Menschen. Unterwegs schien sie sich ein wenig zu erholen. Ihre behandschuhte Linke ruhte leicht wie eine Feder auf seinem Unterarm.
Unter den weißen Säulen der Tribüne waren das Gedränge und der Lärm weniger übermächtig. Er blieb stehen und deutete eine Verbeugung an. »Darf ich mich vorstellen, Madam? Mein Name ist Edward Mallory. Ich bin ein Mitglied der Royal Society. Ein Paläontologe.«
»Die Royal Society«, murmelte die Frau halb geistesabwesend, und ihr verschleierter Kopf nickte wie eine Blume auf einem Stängel. Sie schien noch etwas hinzuzufügen.
»Wie bitte?«
»Die Royal Society! Wir haben den Geheimnissen des Universums das Herzblut ausgesogen …«
Mallory starrte sie an.
»Die fundamentalen Beziehungen in der Wissenschaft der Harmonie«, sagte die Frau mit einer Stimme von großer Sanftmut, Müdigkeit und Ruhe, »sind empfänglich für mechanischen Ausdruck, gestatten die Komposition sorgfältig ausgearbeiteter und wissenschaftlicher Kompositionen jeden Umfangs und jeder Schwierigkeit.«
»Natürlich«, sagte Mallory besänftigend.
»Ich denke, meine Herren«, flüsterte die Frau, »dass Sie nicht an mir verzweifeln werden, wenn Sie bestimmte Produktionen von mir sehen! Meine Regimenter werden den Herrschern der Erde in ihrer eigenen Weise fähig dienen. Und aus welchen Materialien werden meine Regimenter bestehen? Aus unermesslichen
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