Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)
allgemeine Richtung der überdachten Buchmacherstände schlenderte, war Godwin ein sehr präziser und einfallsreicher Techniker, und ein äußerst gewissenhafter und ehrlicher Mann. Er hatte keinerlei Veranlassung, an Godwins Einschätzung der Siegeschancen zu zweifeln, und ein Mann, der auf den Zephyr setzte, mochte Epsom an diesem Abend mit einer Summe verlassen, die dem Einkommen mehrerer Jahre entsprach. Wenn man dreißig Pfund setzen würde, oder vierzig …
Mallory hatte annähernd fünfzig Pfund auf einem Bankkonto, den größeren Teil von seinem Expeditionsbonus. Wei tere zwölf trug er in dem schweißfleckigen Geldgürtel aus Segeltuch bei sich, der unter seiner Weste verborgen war.
Er dachte an seinen armen Vater, der vom Hutmacherwahn sinn kraftlos und siech geworden war, vergiftet vom Quecksilber, und in seinem Lehnstuhl am Kaminfeuer zuckte und murmelte. Ein Teil von Mallorys Geld war bereits für die Koh len vorgesehen, die dieses Kaminfeuer nährten.
Andererseits könnte man dabei vierhundert Pfund einstrei chen … Aber nein, er würde vernünftig sein und nur zehn setzen, um seine Abmachung mit Godwin einzuhalten. Zehn Pfund würden ein fühlbarer Verlust sein, aber einer, den er tragen konnte. Er bewegte die Finger seiner rechten Hand zwischen den Knöpfen seiner Weste und fühlte nach der zugeknöpften Klappe des Geldgürtels.
Und dann beschloss er, seine Wette bei der durch und durch modernen Firma Dwyer & Co. zu platzieren, statt bei der ehrwürdigen und vielleicht etwas angeseheneren Wettannahme Tattersall. Er war häufig an Dwyers hell erleuchteten Räumen an der St. Martin’s Lane vorbeigekommen und hatte das tiefe Surren der drei Messingmaschinen gehört, die dort im Einsatz waren. Noch immer war er nicht geneigt, einen solchen Einsatz bei einem der vielen individuellen Buchmacher zu hinterlegen, die auf ihren hohen Hockern saßen und die Menge überblickten, obwohl sie annähernd so verlässlich waren wie die größeren Firmen. Das wettfreudige Publikum sorgte dafür, dass sie es waren und blieben. Mallory selbst war in Chester einmal Zeuge gewesen, wie die Menge einen betrügerischen Wetteinnehmer beinahe gelyncht hätte. Noch immer war ihm der gellende Ruf »Schwindler!« im Ohr, hoch und durchdringend wie der Warnruf beim Ausbruch eines Feuers, der wie ein Lauffeuer durch die abgeteilte Einfriedung gegangen war, und der Sturm auf den Mann mit der schwarzen Mütze, der zu Boden geschleudert und erbarmungslos mit Stiefeltritten traktiert worden war. Unter der Oberfläche des gutmütigen, erwartungsvollen Rennbahnpublikums lauerte eine urtümliche Wildheit. Er hatte den Vorfall mit Charles Darwin besprochen, der die Handlungsweise mit dem Verhalten von Krähen verglichen hatte …
Seine Gedanken wanderten zu Darwin, als er sich vor dem Buchmacherschalter anstellte. Mallory war ein früher und leidenschaftlicher Anhänger des Mannes gewesen, den er als einen der großen Geister des Zeitalters betrachtete; aber er befürchtete, dass der zur Zurückgezogenheit neigende Lord Darwin ihn, wenngleich er Mallorys Unterstützung anerkann te, für ziemlich dreist hielt. Wenn es um berufliche Förderung ging, war Darwin von geringem Nutzen. Thomas Henry Huxley war der Mann dafür, ein großer Sozialtheoretiker und ein vollendeter Wissenschaftler und Redner …
In der Schlange rechts neben Mallory stand ein feiner Herr in eleganter, aber unauffälliger Stadtkleidung, die letzte Nummer der Zeitschrift Sporting Life unter dem makellosen Ärmel. Als Mallory ihn beobachtete, trat der Mann an den Schalter und platzierte eine Wette von einhundert Pfund auf ein Pferd namens Alexandras Stolz.
»Zehn Pfund auf den Zephyr , auf Gewinn«, sagte Mallory dem Buchmacher am Schalter für das Dampfwagenrennen und legte eine Fünfpfundnote und fünf Einpfundnoten auf den Zahlteller. Während der Angestellte den Einsatz auf der Lochkarte festhielt, studierte Mallory die über dem glänzenden Stuckmarmor des Schalters angezeigten Gewinnaussichten nach dem letzten Stand der angenommenen Wetten. Die Franzosen mit dem Vulcan der Compagnie Générale de Traction wurden deutlich favorisiert. Lenker des Vulcan war ein M. Raynal. Mallory bemerkte, dass der italienische Teilnehmer in einer nur wenig besseren Position als Godwins Zephyr war. Hatten sich die Pleuelstangen herumgesprochen?
Der Schalterangestellte schob Mallory eine dünne blaue Kopie der gelochten Karte zu. »Sehr gut, Sir, danke sehr.« Er blickte bereits
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