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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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Zahlen.«
    Sie packte Mallorys Arm mit fiebriger Heftigkeit.
    »Wir werden mit unwiderstehlicher Macht zum Klang von Musik marschieren.« Sie wandte ihm das verschleierte Gesicht zu; aus ihren Augen sprach eine seltsam heitere Ernsthaftigkeit. »Ist es nicht sehr geheimnisvoll? Meine Truppen müssen jedenfalls aus Zahlen bestehen, oder sie können überhaupt keine Existenz haben. Aber was sind dann diese Zahlen? Es ist ein Rätsel …«
    »Ist dies Ihr Kasten, Madam?«, fragte Mallory und hielt ihr den Gegenstand vors Gesicht, um vielleicht einen Anstoß zur Rückkehr der Vernunft zu geben.
    Sie sah den Kasten ohne offenkundiges Wiedererkennen an. Es war ein schönes Ding aus lackiertem Rosenholz, die Ecken in Messing gefasst; es hätte ein Handschuhkasten einer Dame sein können, doch war er dafür zu nüchtern, ohne die spezifische Eleganz. Der Deckel war mit kleinen Messinghaken verschlossen. Die Frau strich mit dem behandschuhten Zeigefinger darüber, als müsse sie sich seiner physischen Existenz vergewissern. Etwas daran schien jedoch eine dämmernde Erkenntnis ihrer eigenen misslichen Lage zu bewirken. »Können Sie ihn für mich halten, Sir?«, fragte sie Mallory schließlich. In ihrer stillen Stimme zitterte eine seltsam klägliche Bitte. »Können Sie ihn für mich in Verwahrung nehmen?«
    »Selbstverständlich«, sagte Mallory, wider Willen gerührt. »Selbstverständlich werde ich ihn für Sie verwahren; so lange Sie wollen, Madam.«
    Langsam bewegten sie sich die Tribüne hinauf zu den teppichbelegten Stufen, die zur Königlichen Einfriedung führten. Mallorys Hüfte schmerzte unangenehm, und seine Hose war klebrig von Blut. Er fühlte sich benommener, als eine so relativ geringfügige Wunde es rechtfertigte; etwas an der sonderbaren Rede der Frau und ihrem noch sonderbareren Benehmen schien auf ihn abgefärbt zu haben. Oder vielleicht – der Gedanke kam ihm erst jetzt in den Sinn – hatte der Zuhälter, oder was immer er war, sein Stilett mit einer Art von Gift überzogen. Mallory bedauerte, dass er die Waffe nicht zwecks späterer Untersuchung aufgehoben hatte. Vielleicht war auch die Frau neben ihm irgendwie narkotisiert worden; möglicher weise hatte er irgendein finsteres Komplott zu ihrer Entführung durchkreuzt …
    Zu Füßen der Tribünen war die Rennbahn für das bevorste hende Dampfwagenrennen frei gemacht worden. Fünf kolossale Dampfwagen und der vergleichsweise winzige Zephyr rollten an ihre Plätze. Mallory verhielt einen Augenblick und beobachtete das gebrechlich aussehende Fahrzeug, von dem jetzt auf so absurde Weise sein Glück abhing. Die Frau nutzte den Augenblick, um seinen Arm loszulassen und zu der weiß gestrichenen Trennwand der Königlichen Einfriedung zu eilen.
    Mallory hinkte überrascht hinterdrein. Sie blieb einen Augenblick bei zwei Wächtern am Eingang stehen – Polizisten in Zivil, wie es schien, sehr athletisch und wachsam. Die Frau hob mit einer schnellen, gewohnheitsmäßigen Bewegung den Schleier, und zum ersten Mal konnte Mallory ihr Gesicht deutlich erkennen.
    Ada Byron, die Tochter des Premierministers! Lady Ada Byron, die Königin der Maschinen!
    Sie schlüpfte durch die Tür, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen oder ein einziges Wort des Dankes zu sagen. Mallory, den Rosenholzkasten unter dem Arm, wollte ihr durch die Tür folgen, aber einer der Polizisten vertrat ihm den Weg.
    »Einen Augenblick, Sir!«, sagte er höflich. Er musterte Mallory von oben bis unten, bemerkte den Holzkasten, das durchfeuchtete Hosenbein. »Sind Sie ein Gast in der Königlichen Einfriedung, Sir?«
    »Nein«, sagte Mallory. »Aber Sie müssen gesehen haben, dass Lady Ada Byron gerade eben hier durchgegangen ist. Etwas Schreckliches ist mit ihr geschehen; ich fürchte, sie befindet sich in einer Notlage. Ich war imstande, ihr ein wenig behilflich zu sein …«
    »Ihr Name, Sir?«, fragte der zweite Polizist.
    »Edward … Miller«, platzte Mallory heraus, im letzten Augenblick von seinem Schutzinstinkt gewarnt.
    »Darf ich ihre Bürgerkarte sehen, Mr. Miller?«, sagte der erste Polizist. »Was ist in diesem Kasten, den Sie bei sich tragen? Darf ich hineinsehen, bitte?«
    Mallory entzog den Kasten der ausgestreckten Hand, trat einen Schritt zurück. Die Polizisten musterten ihn mit einer gefährlichen Mischung von Argwohn und Geringschätzung.
    Von der Rennbahn unter ihnen drang plötzlich ein scharfer Knall herauf. Ein Dampfstrahl pfiff aus einer geplatzten Naht des

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