Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)
und einen technischen Fehltritt getan haben, wenn man so sagen kann.«
Mallory strich sich den Bart. »Ich hoffe, daraus spricht nicht britischer Berufsneid.«
»Keineswegs, Sir! Es ist allgemein bekannt, dass der Große Napoleon in diesem Frühjahr ein arges Missgeschick erlitten hat«, versicherte ihm Tobias. »Seitdem hat die große Maschine nicht mehr richtig gearbeitet.« Er senkte die Stimme. »Manche behaupten, dass Sabotage dahinterstecke! Kennen Sie diesen französischen Begriff: ›Sabotage‹? Kommt von sabots , den Holzschuhen, die von den französischen Arbeitern getragen werden. Wenn sie die zwischen die Zahnräder quetschen, können sie eine Maschine ernstlich beschädigen!« Tobias grinste über die Vorstellung, mit einem Vergnügen, das Mallory eher beunruhigte. »Die Franzosen haben auch Probleme mit ihren Ludditen, wissen Sie, Sir, genau wie wir damals, vor einigen Jahren!«
Eine Dampfpfeife gellte zweimal kurz hintereinander, dass es von der weiß getünchten Decke widerhallte. Die beiden arbeitsamen Herrn, zu denen sich in der Zwischenzeit ein genauso arbeitsamer dritter gesellt hatte, schlossen jetzt ihre Mappen und gingen.
Kurz darauf läutete die Glocke wieder und rief Tobias zum Ausgabeschlitz. Statt direkt hinzugehen, stand der junge Mann gemächlich auf und ging den Tisch entlang, wo er die liegen gebliebenen Mappen nach nicht vorhandenem Staub untersuchte, bevor er sie in ihr Regal steckte. »Ich glaube, das ist unsere Antwort«, sagte Mallory.
Tobias, der ihm den Rücken zugekehrt hatte, nickte kurz. »Sehr wahrscheinlich, Sir, aber jetzt ist Feierabend, wissen Sie? Diese zwei Signaltöne …«
Mallory erhob sich ungeduldig und schritt zum Ausgabeschlitz.
»Nein, nein«, rief Tobias, »nicht ohne Handschuhe! Lassen Sie mich das machen!«
»Wozu Handschuhe? Wer soll davon erfahren?«
»Die Anthropometrie selbstverständlich! Dieser Raum gehört zu ihrer Abteilung, und sie verabscheuen nichts mehr als die Schmutzflecken von bloßen Fingern!« Tobias nahm den gefalteten Ausdruck und überflog ihn. »Nun, Sir, unsere Verdächtige ist eine gewisse Florence Bartlett, geborene Russell, aus Liverpool …«
»Ich danke Ihnen, Mr. Tobias«, sagte Mallory und faltete den Maschinenausdruck noch einmal quer, um ihn leichter in seine karierte Weste zu stecken. »Ich weiß Ihre Hilfe zu schätzen.«
Eines arktisch kalten Morgens in Wyoming, der Raureif lag dick auf dem braunen, geknickten Präriegras, hatte sich Mallory neben den lauwarmen Kessel des Dampfpanzerwagens der Expedition gekauert, hatte in dem kümmerlichen Feuer aus Bisondung gestochert und versucht, ein eisenhartes Stück des Bisonfleisches, das ihr Frühstück, Mittag- und Abendessen gewesen war, aufzutauen. In jenen jämmerlichen Augenblicken, als sein Bart vom gefrorenen Atem bereift gewesen war und seine vom Schaufeln blasenbedeckten Finger Frostbeulen gehabt hatten, hatte Mallory einen feierlichen Eid geschworen, dass er niemals wieder die Sommerhitze verfluchen würde.
Aber nie hatte er in London eine so drückende Hitze erwartet.
Die Nacht war ohne einen Lufthauch vergangen, und sein Bett hatte einem stinkenden Schwitzbad geglichen. Er hatte auf den Laken geschlafen, ein in kaltem Wasser ausgedrücktes Frottiertuch über den nackten Körper gebreitet, und war stündlich aufgestanden, um das Handtuch wieder zu befeuchten. Jetzt war die Matratze nass, und der ganze Raum heiß und drückend wie ein Gewächshaus ohne Lüftung. Außerdem stank es nach schalem Tabakrauch, denn Mallory hatte bei der Lektüre des Lebenslaufs und der Vorstrafen von Florence Russell Bartlett ein halbes Dutzend seiner guten Havannas geraucht. Das bislang schwerste Delikt dieser gefährlichen Dame war anscheinend die Ermordung ihres Ehemannes gewesen, eines bekannten Baumwollhändlers in Liverpool, im Frühjahr 1853.
Der Modus Operandi war Vergiftung durch Arsen gewesen, das Mrs. Bartlett aus Fliegenpapier extrahiert und ihrem Mann im Laufe mehrerer Wochen mit einer Medizin, Dr. Gores Hydropathischem Kräftigungsmittel, verabreicht hatte. Mal lory wusste von seinen Nächten am Haymarket, dass Dr. Gores Kräftigungsmittel tatsächlich ein Aphrodisiakum war, aber davon stand nichts in der Akte. Die tödliche Erkrankung von Bartletts Mutter im Jahre 1852 und des Bruders ihres Ehemannes 1851 waren auch verzeichnet, desgleichen die ärztlichen Totenscheine, in denen Durchbruch eines Magengeschwürs beziehungsweise Cholera als Todesursachen genannt
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