Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)
nahm sich wieder die Bilder vor und betrachtete sie mit einer Zurschaustellung angestrengter Aufmerksamkeit. »Sicherlich ist es mein eigener Fehler – das Licht hier ist nicht so, wie es sein könnte.«
Der junge Mann erhob sich halb von seinem Platz. »Ich kann das Gas aufdrehen.«
»Nein«, sagte Mallory. »Ich möchte meine Aufmerksamkeit für die Frau aufsparen. Vielleicht haben wir da mehr Glück.«
Tobias sank auf seinen Stuhl zurück. Während sie warteten, täuschte Mallory entspannte Gleichgültigkeit vor. »Langwierige Kleinarbeit, nicht wahr, Mr. Tobias? Ein junger Mann von Ihrer Intelligenz muss sich nach größeren Herausforderungen sehnen.«
»Ich mag die Arbeit mit Maschinen«, sagte Tobias. »Nicht mit diesen schwerfälligen Ungetümen, sondern mit den klügeren, die auch ästhetischer sind. Ich wollte das Lochen lernen.«
»Warum sind Sie dann nicht in die Programmierschule gegangen?«
»Ich kann es mir nicht leisten, Sir. Die Familie ist nicht einverstanden.«
»Haben Sie sich um ein Begabtenstipendium bemüht?«
»Das hat nicht geklappt – ich habe im Rechnen den Anforderungen nicht entsprochen.« Er machte ein missmutiges Gesicht. »Ich bin sowieso kein Wissenschaftler. Ich lebe für die Kunst. Kinotropie!«
»Theaterarbeit, wie? Manche sagen ja, es liege im Blut.«
»Ich gebe jeden ersparten Shilling dafür aus«, schwärmte der junge Mann. »Wir haben einen kleinen Club von begeisterten Kinotrop-Freunden. Das Palladium vermietet uns sein Kinotrop in den Stunden nach Mitternacht. Manchmal sieht man ganz erstaunliche Dinge, natürlich auch eine Menge amateurhaftes Zeug.«
»Interessant«, sagte Mallory. »Ich hörte, dass … äh …« Er musste sich erst auf den Namen des Mannes besinnen. »Ich hörte, dass John Keats recht gut sein soll.«
»Er ist alt«, sagte der junge Mann mit einem erbarmungslosen Achselzucken. »Sie sollten Sandys sehen oder Hughes. Oder Etty! Und dann gibt es noch einen Locher aus Manchester, dessen Arbeit ganz fantastisch ist – Michael Radley. Letzten Winter sah ich hier in London eine Schau von ihm. Einen Vortrag, mit einem Amerikaner.«
»Vorträge mit Kinotrop-Untermalung können sehr eindrucksvoll sein.«
»Na ja, der Redner war ein gerissener alter Gauner, ein betrügerischer Yankee-Politiker. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten sie ihn hinauswerfen und nur Bilder zeigen sollen.«
Mallory ließ die Konversation einschlafen. Tobias rutschte unruhig auf seinem Platz hin und her, wollte das Gespräch fortsetzen und wagte doch nicht, sich die Freiheit herauszunehmen. Endlich läutete die Glocke. Er war sofort auf den Beinen und sprang mit einem kratzigen Gleiten seiner abgetretenen Schuhe zum Ausgabeschlitz, um mit einem weiteren Bündel gefalteter Papiere zurückzukehren.
»Rothaarige«, sagte er und lächelte etwas einfältig.
Mallory grunzte. Er betrachtete die abgebildeten Frauen mit konzentrierter Aufmerksamkeit. Es waren gefallene Frauen, ruinierte Frauen mit den gedunsenen, hoffnungslosen Gesichtern, die noch in den grob gerasterten kleinen Schwarz-Weiß-Bildern von elenden Lebensschicksalen kündeten. Anders als zuvor bei den Männern fand Mallory in den Frauengesichtern mehr Lebensnähe. Hier war eine Londoner Großstadtpflanze mit breitem Gesicht und einem wilderen Ausdruck in den Augen, als er es je bei einer Cheyenne-Squaw gesehen hatte. Da war ein traurig blickendes irisches Mädchen mit eingefallenem Gesicht, dort eine Straßendirne mit Haaren wie ein Rattennest und einem umnebelten Grinsen. Hier Trotz, da schmallippige Unverschämtheit, dort die erstarrte Grimasse eines verführerischen Lächelns. Und dann eine giftig blickende Engländerin. Die Augen mit ihrem kalkulierten Ausdruck verletzter Unschuld überraschten ihn mit dem Schock des Wiedererkennens. Er tippte mit dem Finger auf die Abbildung, blickte zu Tobias auf. »Das ist sie!«
»Sehr gut, Sir! Lassen Sie mich die Nummer notieren.« Er tat es, ging an eine kleine Lochstanze und lochte die Bürger- Nummer in eine frische Karte, die er darauf in den Aufnahme schlitz der Wand steckte. Die ausgestanzten Papierblättchen leerte er sorgfältig in einen Deckelbehälter.
»Die Akte wird alle Informationen über sie enthalten, nicht wahr?«, wollte Mallory wissen. Er zog sein Notizbuch aus der Jacke.
»Größtenteils, Sir. Eine gedruckte Zusammenfassung.«
»Kann ich die mitnehmen, um sie eingehender zu studieren?«
»Nein, Sir, da Sie kein Beamter der Exekutive sind.« Mit
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