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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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einer Spur von Grau in den Bartkoteletten und einem dunklen, maschinengenähten Gehrock, der durchaus nichts Bemerkenswertes an sich hatte. Auch sein Gesicht war ein Allerweltsgesicht, vielleicht ein wenig voll für seine Körpergröße und Hagerkeit, mit kaltem Blick und grimmigem Mund unter der Stupsnase.
    Mallory bog um die nächste Ecke und hastete links die Burton Street hinauf. Sein Uhrenkasten schien mit jedem Schritt schwerer und ungefüger zu werden. Den Geschäften hier fehlten die großen Schaufensterscheiben, in denen sich ein breiter Straßenausschnitt spiegelte: Er zog den Hut vor einer hübschen Frau und gab vor, sich nach ihren Fesseln umzusehen. Der hüstelnde Herr war immer noch hinter ihm.
    Vielleicht war der hüstelnde Herr ein Verbündeter des Zuhälters und seiner rothaarigen Schnepfe. Ein gemieteter Raufbold; ein Mörder mit einer Pistole in der Tasche seines Gehrocks. Oder einer Ampulle Vitriol. Mallorys Nackenhaare sträubten sich in Erwartung des jähen Kugeleinschlags, des nassen Brennens zersetzender Säure.
    Er beschleunigte seinen Schritt, und der Kasten schlug ihm schmerzhaft gegen das Bein. Auf dem Berkeley Square schnaufte ein kleiner Dampfkran zwischen zwei splitternden Platanen und schwang eine große gusseiserne Kugel in eine berstende georgianische Fassade. Eine Menge Schaulustiger erfreute sich des Anblicks. Er stellte sich hinter die Absperrung aus Sägeböcken zwischen andere Zuschauer und fühlte sich im Augenblick sicher. Mit einem Seitenblick erspähte er den hüstelnden Herrn. Der Bursche sah ziemlich übel aus, und er schien nervös zu sein, da er Mallory in der Menge aus den Augen verloren hatte. Aber er wirkte weder außer sich vor Hass noch entschlossen zum Mord.
    Mallory sah die Chance, den Verfolger abzuschütteln. Nachdem er sich unauffällig durch die Menge entfernt hatte, eilte er über den Platz und nutzte die Deckung der Bäume. Am anderen Ende bog er in die Charles Street ein, die zu beiden Seiten mit mächtigen Häusern aus dem 18. Jahrhundert gesäumt war. Herrschaftlichen Häusern, deren schmiedeeiserne Ziergitter und Balkone die Wappen des neuen Adels trugen. Hinter ihm rollte ein luxuriöser Dampfwagen aus seiner Remise und gab Mallory die Gelegenheit, stehen zu bleiben, sich umzudrehen und die Straße zu beobachten.
    Sein Schachzug war vergeblich gewesen. Der hüstelnde Herr war wenige Dutzend Schritte hinter ihm, ein wenig außer Atem vielleicht und von der Anstrengung und der dumpfen Hitze rot im Gesicht, aber nicht abgeschüttelt. Er wartete, dass Mallory weiterging, und vermied es, zu ihm herzusehen. Stattdessen blickte er mit augenscheinlichem Verlangen zum Eingang eines Gasthauses mit dem Namen Zum laufenden Lakai. Mallory spielte mit dem Gedanken, hinüberzugehen und den hüstelnden Herren vielleicht im Gedränge um die Theke abzuhängen. Oder vielleicht könnte er im letzten Augenblick auf einen anfahrenden Dampfbus springen – wenn es ihm gelänge, seinen wertvollen Uhrenkasten an Bord zu zwängen.
    Aber in diesen Maßnahmen war wenig wirkliche Hoffnung. Dieser Kerl hatte die Vorteile des Terrains, ungehinderter Beweglichkeit und aller verstohlenen Kniffe des Londoner Ganoven. Mallory kam sich wie ein schwerfälliger Bison auf der Prärie Wyomings vor. Er stapfte mit der schweren Uhr weiter. Seine Hand schmerzte; er wurde müde …
    Am unteren Ende vom Queens Way brachten zwei Bagger mit einem Drahtseil die Abbruchruinen am Shepherd Market zum Einsturz. Ein Bretterzaun umgab das Gelände, aber neugierige Zuschauer hatten Astlöcher durchstoßen und einzelne Bretter herausgebrochen. Frauen mit Kopftüchern und Kautabak spuckende Kleinhändler, vertrieben von ihren gewohnten Plätzen, hatten am Bretterzaun in einem schmalen Strei fen ihre Waren ausgelegt. Mallory schritt die Reihen verdorben riechender Austern, welker Salate und eingestaubter Altkleider ab. Am Ende des Bretterzauns war durch eine eventuelle Unachtsamkeit bei der Planung ein schmaler Durchgang geblieben; staubige Planken auf einer Seite, bröckelnde Ziegel auf der anderen. Anspruchslose Kräuter gediehen üppig zwischen den alten, nach Urin riechenden Kopfsteinen. Mallory spähte hinein, als eine alte Frau mit Haube sich aus der Hockstellung erhob und ihre Röcke glatt strich. Sie watschelte wortlos an ihm vorbei. Mallory berührte seine Hutkrempe.
    Er stemmte den Uhrenkasten über den Kopf und legte ihn vorsichtig auf die Mauer aus bemoosten Ziegeln, stützte ihn zusätzlich mit

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