Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft
urheberrechtlich geschützten Inhalten heruntergeladen hatten. Und das, obwohl die Auftraggeber jeden Download unbezahlter Medien-Inhalte aus dem Netz für potenziell kriminell erklärten,was keineswegs der Fall sein muss. Denn natürlich gibt es auch Angebote, bei denen vollkommen legal kostenlos Werke genutzt oder heruntergeladen werden können.
Die Geschichte von iTunes und der Musikindustrie zeigt: Die Labels haben ihre Kunden nicht verstanden. Aber eine Hard- und Softwarefirma, die durch gute Ideen und geschickte Strategie die Musikindustrie ins nächste Jahrtausend katapultierte. Die Worst-Case-Szenarien der Musikbranche blieben aus. Menschen sind bereit für Musik zu bezahlen, wenn man ihnen keinen stinkenden Fisch, sondern funktionierende Lösungen und eine breite Palette anbietet, die fast jeden Geschmack befriedigt. Verloren hat die Musikindustrie bei dieser Episode des Übergangs in die digitale Gesellschaft dennoch, und das gleich doppelt.
Da ist zum einen die sogenannte »verlorene Generation«: Das Vorgehen der Labels, oft mit juristischen Mitteln, gegen jeden, den sie beim Dateitauschen erwischen konnten, die Kriminalisierung der Nutzer mit großen Anzeigenkampagnen unter dem Motto »Copy kills Music«, all das hat nicht viel genutzt. Aber es hat nachhaltig geschadet. Das Image der Musikindustrie ist bei einer ganzen Generation so nachhaltig beschädigt, dass sie im Netz oft nur »Musikmafia« oder ähnlich genannt wird. Tausende Nutzer, die Dateien im Netz anboten, wurden von spezialisierten Abmahnanwälten auf Unterlassung in Anspruch genommen – ein lukratives Geschäftsmodell, das in seinen Ausmaßen eine relevante Einnahmequelle für die Musikbranche darstellt. Aber wie will man Menschen, denen man erst kein Angebot macht, während man sie die ganze Zeit als Kriminelle beschimpft und juristisch verfolgt, denn jemals davon überzeugen, dass die Musikwirtschaft gar nicht so schlimm ist und dass es wohl doch richtig wäre, für Inhalte auch einen Obolus zu entrichten?
Tatsächlich erscheint dies als hoffnungsloses Unterfangen. Wer heute zwischen 15 und 40 Jahren alt und im Internet zuhause ist, der reagiert nur zu oft mit Verachtung, Geringschätzung und Missfallen auf jedes Wort aus diesen Kreisen. Dass die Musikwirtschaft einen wertvollen Beitrag zur kulturellen Vielfalt leiste, das jedenfalls nimmt ihr in dieser Gruppe kaum einer ab. Dabei sollte man nicht ganz vergessen: Auch wenn sie im Netz verhasst sind – Musikwirtschaft, Film- und Verlagswirtschaft haben ihren Stellenwert für das System der Medienproduktion,für professionelle Förderung und Produktion von Künstlern und ihren Werken. Weshalb es eigentlich wünschenswert wäre, wenn diese auf die Nutzer einen Schritt zugehen und mit ihnen ins Gespräch kommen würden. Doch noch sind die Lerneffekte überschaubar. Man könnte auch auf die Idee kommen, dass andere Zweige aus den Anfangsfehlern der Musikwirtschaft gelernt hätten. Aber weit gefehlt: Weder die Film- noch die Buchbranche scheinen gewillt oder fähig, die Fettnäpfchen auszulassen, die dort ausgiebig ausgetestet wurden. Weder der Börsenverein des deutschen Buchhandels – im Netz bereits als Bösenverein verballhornt – noch die Filmwirtschaft zeigen irgendein gesteigertes Maß an Nutzerverständnis. Stattdessen tönen sie mit der Musikwirtschaft unisono: Verlängern, verschärfen, verklagen.
Wer kann sich darüber wundern, wenn nun die Netzgeneration auf die Straße geht, um gegen das ACT A-Abkommen zu demonstrieren? Um Politikern ein großes »so nicht« ins Stammbuch zu schreiben? Um klarzumachen, dass man keine abstrakten Gesetze beschließt, sondern konkrete Betroffenheit erzeugt? Dass sie sich in ihren Rechten beschnitten fühlen und ihre demokratischen Rechte gefährdet sehen, wenn statt einer notwendigen Urheberrechtsreform das bestehende und offensichtlich defekte Regime auf ihre absehbare Lebenszeit hin zementiert werden soll?
Ein politischer Scherbenhaufen
Beim Urheberrecht geht es um etwas, das wir in diesem Ausmaß in der prä-digitalen Gesellschaft eigentlich nicht kannten: Der Streit geht um Güter, die nicht unmittelbar an ein bestimmtes physisches Objekt gebunden sind. Weil wir diesen Wandel erlebt haben, ist es für uns normal, dass ein Musikstück auch ohne ein Trägermedium auskommt, ein MP3 sein kann – eine kleine Datei, keine Kassette, Schellack- oder Vinylplatte. So wie Kommunikationsvorgänge jeder Art digital stattfinden
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