Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft
Deutschlandfunks das Thema des Tages schon weitgehend gesetzt. Es wurde von den Zeitungs- und Fernsehkollegen beim Zähneputzen gehört und fand dann den Weg in deren Planungskonferenzen. Ein politischer Kommentar in der ›FAZ‹ oder der Leitartikel in der ›Zeit‹ hatten eine Meinungsmacht, die kaum zu überbieten war. Ganz zu schweigen vom ›Spiegel‹, wenn er ein Thema zur Titelgeschichte erhob.
Tatsächlich sind die organisierten Massenmedien in der alten Bonner Republik und in Teilen bis heute wesentlicher Faktor der Agenda. Was Zeitungen, Magazine, Funk und Fernsehen links liegen lassen, findet oftmals einfach nicht statt. Die Presse, vierte Gewalt, wie sie neben Parlament, Regierung und Justiz oftgenannt wird, agierte über viele Jahre in einem in sich geschlossenen Zirkel. Basis der Öffentlichkeitsbildung in der alten Bundesrepublik war der Pluralismus zwischen den verschiedenen Zeitungen, ihren unterschiedlichen politischen Ausrichtungen. Sie und ergänzend die anderen Medien sollten die Bundesbürger umfassend über die verschiedenen Angebote im »Markt der Meinungen« informieren.
Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) machte sich im Jahr 2005 die Mühe, zu untersuchen, wie die Kommentatoren der größten deutschen »Qualitätszeitungen« agieren. Das Ergebnis war ernüchternd: »Das Kommentariat besteht aus Leuten, die sich bei Podiumsdiskussionen und Talkshows zwar regelmäßig treffen und auch aufmerksam lesen, was sie schreiben – aber sie erwähnen und zitieren sich nicht. Vielleicht will man vermeiden, dass der Leser die Konkurrenz überhaupt wahrnimmt.« Ein Diskurs über die Grenzen des einzelnen Blattes hinaus fand selbst in den als qualitativ hochwertig eingeschätzten alten Medien nicht statt. Und wer, außer Menschen, die dafür bezahlt wurden, las denn früher schon mehrere Zeitungen am Tag?
Heute ist es einfach, mehrere Meinungen zu einem Thema wahrzunehmen. Mit wenigen Klicks kann man die Meinung bei FAZ.net, bei Sueddeutsche.de, bei der Badischen Zeitung, in Weblogs und bei Twitter erforschen. Und dazu auch die Meinung der eigentlichen Akteure, ob es Vertreter von Politik oder Wirtschaft sind.
Die Aufmerksamkeitsökonomie
Was klickt? Diese Frage stellen sich die Chefredakteure der Nachrichtenwebsites jeden Tag. Sie entscheiden darüber, was wo auf den Webseiten platziert wird, was für wichtig erachtet wird und was nur eine Marginalie ist. So wie die Programmmacher bei der ›Tagesschau‹, so wie die Blattmacher der Zeitungen. Sie sind es, die darüber entscheiden, was ein großer Teil der Netznutzer als relevant wahrnimmt.
Und das sind oft die gleichen Dinge: Titten, Tiere und Terroristen. Diese Themen-Trias garantiert die Aufmerksamkeit der Leser.Al-Qaida droht mit Anschlag? Knut? Brust-OP eines Celebrity-Sternchens schiefgelaufen? Oder doch lieber die 58. Story über die schwierige Situation im Gazastreifen? Die Aufmerksamkeit der Nutzer ist überaus berechenbar. Was früher für die Journalisten nur grob zu erahnen war, darüber bekommt man online sofortige Gewissheit: Klicken die Nutzer eine Meldung, einen Bericht, eine Reportage an? Online ist jeder Klick durch einen Nutzer bares Geld wert. Wer viel angeklickt wird, kann mehr Geld für Werbung verlangen. So will es die Werbebranche, so funktioniert das Geschäftsmodell.
Belohnt wird zunächst nicht die Qualität, belohnt wird die einfache Aufmerksamkeit. Der Werbung ist es egal, ob der Artikel sorgfältig recherchiert wurde. Der Werbung ist es egal, ob der Artikel aktuell ist oder ein halbes Jahrhundert alt. Der Werbung ist es egal, ob es sich überhaupt um einen Artikel handelt. Der Werbung ist es einfach egal, neben welchen Inhalten sie steht.
Das hat zu vielen fragwürdigen Kreativitätsauswüchsen seitens bekannter Medienmarken geführt. So ist der sogenannte »Teaser«, der Anfüttertext für einen Artikel auf der Startseite, oft absichtlich rätselhaft gehalten. »Beamte und Menschen im öffentlichen Dienst genießen großes Ansehen in Deutschland. Eine Berufsgruppe steht noch schlechter da als Telekom-Mitarbeiter und Werber«, hieß es bei welt.de, und natürlich soll der Nutzer darauf klicken, um dann am Ende einer 3 0-seitigen Bilderstrecke zu erfahren, dass es die Versicherungsvertreter sind. Bei Spiegel Online heißt es: »Big Brother unter verschärften Bedingungen: Wie übersteht man 520 Tage in einem fensterlosen Container?« Im Interview erzählen zwei Teilnehmer der »Mars
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