Die Dilettanten
zurückgetreten war: »Auf dem Gesetzentwurf steht Zypries drauf, aber Schily ist drin.« 243 Ex-InnenministerGerhart Baum (FDP) droht mit dem Bundesverfassungsgericht, und nur wenige Tage nach Zypries’ großartigem Einfall rät SPD-Fraktionschef Franz Müntefering, »den Referentenentwurf nicht weiterzuverfolgen«.
Und so geht es Jahr um Jahr:
Im Januar 2005 schlägt Zypries vor, heimliche Vaterschaftstests mit Gefängnis zu bestrafen. Dreieinhalb Jahre später, im Juli 2008, ist ein solches Gesetz noch immer in der »Ressortabstimmung«, aber wenigstens nur noch von »Ordnungswidrigkeit« die Rede.
Im Februar 2006 kippt das Bundesverfassungsgericht das Luftsicherheitsgesetz, im März 2006 das staatliche Wettmonopol, im November 2006 das Erbschaftssteuerrecht und die Zweitwohnsitzsteuer sowie im Februar 2007 die geplante Reform des Unterhaltsrechts. Die unterschiedliche Regelung der Dauer eines Unterhaltsanspruchs für die Betreuung von ehelichen und nichtehelichen Kindern verstoße gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes.
Im November 2007 verteidigt Zypries im Deutschlandradio die Massenspeicherung von Telefon- und Internet-Verbindungsdaten: Die Bürger seien über das neue Gesetz »schlecht informiert«. Besser informiert ist das Bundesverfassungsgericht und setzt am 19. März 2008 das Gesetz teilweise aus.
Im März 2008 legt sie gemeinsam mit Minister Seehofer ein Paket gegen unerlaubte Telefonwerbung vor. »Zypries schützt Telefonbetrüger«, urteilt
taz
-Autor Peter Mühlbauer in
Telepolis
: »Unseriöse Anbieter können weiter angeblich am Telefon geschlossene Verträge vortäuschen.« 244
Im Januar 2009 will sie mit einem Gesetzentwurf zur »Verständigung in Strafsachen« den berüchtigten Kuhhandel zugunsten der Reichen und Berühmten festschreiben. Selbstder Präsident des Bundesgerichtshofs, Klaus Tolksdorf, geißelt die Deals wegen zu milder Strafen und hält deshalb den Eindruck einer »Zweiklassengesellschaft« vor Gericht für nachvollziehbar. Kein Wunder: Klaus Zumwinkel hinterzieht eine Million Euro Steuergelder und bleibt auf freiem Fuß. Fast zeitgleich erhält ein 47-Jähriger für einen Einbruch bei Dieter Bohlen zwölf Jahre und drei Monate Gefängnis.
Manche Kritik allerdings gereicht Zypries zweifellos zur Ehre, etwa wenn ihr ein Roland Koch Versagen zum Thema Ausländerkriminalität vorwirft.
Fazit: Selbstverständlich sind die meisten Gesetze einschließlich der Fehler, Schildbürgerstreiche und Verfassungswidrigkeiten in den Fachressorts entstanden. Gleichzeitig hat sich eingebürgert, die Entscheidung über Gesetze oder gar deren Formulierung dem Bundesverfassungsgericht zu überlassen. Dann aber erscheint das Zwischenschalten des Justizministeriums als reine bürokratische Zeitverschwendung. In jedem Fall sollte Brigitte Zypries wieder etwas tun, was sie wirklich kann: zum Beispiel das Organisieren an der Elbe. Und es muss ja nicht unbedingt wieder Fluthilfe sein: Dampferfahrten täten es auch.
Michael Müller (SPD), Stahlbetonbauer, Betriebswirt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Der belohnte Parteisoldat
Michael Müller, geboren am 10. Juli 1948 in Bernburg/Saale, verkauft die Hartz-Gesetze als »links«.
Seit 1966 ist er in der SPD, von 1972 bis 1978 Juso- Bundesvize, von 1975 bis 1983 Düsseldorfer Stadtrat, seit 1983 im Bundestag,ab 1992 umweltpolitischer Fraktionssprecher, ab 1998 Fraktionsvize und Sprecher der
Parlamentarischen Linken
, seit 2005 Staatssekretär.
Michael Müller ist ein braver Parteisoldat. Er macht der SPD-Obrigkeit nie Ärger, und wann immer man ihm ein Mikrofon hinhält, sagt er freundlich irgendwas Staats- und natürlich Parteitragendes.
Umwelt-Fachkompetenz erwirbt er sich zumindest formal in diversen Enquête-Kommissionen, und zwar als Fraktionssprecher bei »Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre« (1987 bis 1990) und »Schutz der Erdatmosphäre« (1990 bis 1992) sowie als Vorsitzender von »Schutz des Menschen und der Umwelt« (1992 bis 1994).
Das Etikett »SPD-Linker« ist besonders für Müller denkbar irreführend. Schon im Wahlkampf 2005 ist er ein rigoroser Verfechter der Agenda 2010: »Der Reformkurs wird von der Linken getragen«, erklärt er gemeinsam mit Andrea Nahles. »Wir stellen den Grundkurs nicht in Frage.« Und auch er sieht den Hauptfeind nicht etwa in der Union, der FDP oder den Börsenzockern, sondern beim schon eher linken Konkurrenten. »Von
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