Die Dirne vom Niederrhein
»Weil ich es will und ich denke, dass du verdienst, weiterzuleben. Außerdem …«, sie machte eine kurze Pause, »… hoffe ich natürlich, dass du irgendwann dein Geld selber verdienen kannst.«
Elisabeth antwortete zögerlich und haderte mit sich selbst: »Ich weiß nicht, ob ich … imstande bin, die Dienste, welche ihr anbietet, auszuführen.«
»Mach dir deswegen mal keine Sorgen.« Mit einer Handbewegung wischte die beleibte Frau ihre Bedenken beiseite. »Wenn du es probieren möchtest, finden wir einen netten, jungen Soldaten.«
Elisabeth wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Diese Frau gab ihr so viel und sie … sie gab ihr nichts zurück.
»Komm, wärme dich ein wenig am Feuer und schau dir das Geschäft an«, fügte Rosi flüsternd hinzu. »Hier kannst du noch was lernen.«
Die Frauen begrüßten sie freundlich. Einige hatte sie bereits kennengelernt, ohne sich alle Namen merken zu können. Nur an die von Uta und Pauline konnte sie sich noch erinnern. Uta war groß wie Elisabeth, mit dunklen Haaren bis zum Po und einem schrillen Lachen. Sie war am heutigen Abend bereits mit sieben Soldaten nacheinander in einem der Wagen verschwunden. Und das waren lediglich die, die Elisabeth gezählt hatte. Pauline stand Uta, was das anging, in nichts nach, war jedoch optisch der komplette Gegensatz. Die rote Farbe ihrer Haare konnte mit dem Feuer konkurrieren. Ihre Stimme war leise und man musste sich ein Stück vorlehnen, um zu verstehen, was sie sprach. Nach einer Handvoll Worte waren die beiden auch schon wieder in einem der Wagen verschwunden. Elisabeth ergriff die Gelegenheit, um sich direkt neben Bela zu setzen. Aus dunklen Augen begrüßte sie ein warmer Blick.
»Hast du bereits geschlafen? Ich hoffe, wir haben dich nicht geweckt?«, wollte diese leise wissen.
Elisabeth nahm ein Stück Holz, spielte damit zwischen ihren Fingern und blickte nachdenklich in das glühende Rot. »Nein, ich konnte nicht schlafen. Zu viele Gedanken halten mich wach.«
»Das kenne ich«, erwiderte Bela und fuhr sich über den Arm. Obwohl Elisabeth es nicht sehen konnte, war ihr bewusst, dass die Finger des Mädchens über ihre Narbe streichelten. »Irgendwann vergeht der Schmerz«, hauchte Bela gedankenverloren. »Doch kannst du nicht vor ihm davonlaufen, er holt dich immer ein. Es wäre töricht, das zu leugnen.«
Elisabeth seufzte auf. Dieses abwesende, träumerische Gemurmel erinnerte sie einmal mehr an ihre Schwester. Auch sie hatte stundenlang dasitzen können, um sich tiefgründigen Gedanken hinzugeben. Sie wusste nicht, warum, aber plötzlich hatte Elisabeth das tiefe Bedürfnis, Bela aufmunternd über die Schulter zu streicheln und ihr für diesen Moment Trost zu spenden. So traurig waren die Augen des Mädchens, so zerbrechlich seine Stimme.
Bela blickte auf und dankte ihr die Zuwendung mit einem Lächeln. Die Stimme des Mädchens war so leise, dass das Knacken des Feuers sie mühelos übertönen konnte.
»Es hilft, weißt du.«
»Was meinst du damit?«, hakte Elisabeth nach.
»Wenn du dich ablenkst, eine Aufgabe hast, deine Gedanken nicht nur um dich selbst kreisen.«
Endlich verstand sie, was Bela meinte. »Du meinst, ich sollte …?«
Das Mädchen zuckte mit den Schultern, machte eine Kopfbewegung in Richtung der Soldaten. »Du gefällst ihnen. Schau sie dir an.«
Es war Elisabeth gar nicht aufgefallen, dass die Männer sich die Hälse nach ihr verrenkten und einige bereits Angebote bei Rosi für sie abgegeben hatten. Ein lange nicht mehr gekanntes Gefühl. Früher hatte sie dieses Empfinden, begehrt zu werden, begleitet, sobald sie einen Fuß vor die Tür gesetzt hatte. Nach so langer Zeit erschien es ihr neu, ein Moment der Aufregung, ein Prickeln erfasste sie.
Wie sie von den Soldaten angestarrt wurde … Unbehagen vermischte sich mit aufflammendem Interesse.
»Der Anfang ist schwer, danach wird es leicht«, fuhr Bela fort. »Tu es nicht, wenn du es nicht willst. Aber irgendwann vergeht jeder Schmerz, egal, wie tief er in deiner Seele sitzt.«
Elisabeth blickte abwechselnd in die Gesichter der Soldaten und in das lodernde Feuer. Sie war eine Mörderin, warum nicht auch eine Dirne? Wochenlang war sie durch die Lande geirrt, nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Erst hier, in diesen wenigen Tagen, hatte sie Ruhe gefunden. Zumindest, wenn sie nicht allein war. Nachts suchten sie immer noch die dunklen Erinnerungen heim.
Einen Moment lang schwiegen die beiden Frauen, nach einiger Zeit
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