Die Dirne vom Niederrhein
Fackeln wurden entzündet und die Männer steckten über den Karten die Köpfe zusammen. Ihre Gesichter waren rot vom Feuer und schwarz von der Nacht – ein furchterregendes Bild gab dieser dunkle Rat ab.
Elisabeth konnte nicht sagen, wie lange sie nun schon diskutierten. Endlich hatten sie eine Entscheidung getroffen, verschwanden in den Zelten und Stille breitete sich aus. Ihre Beine schmerzten von der ungewohnten Haltung, ihr Körper war ganz steif, als sie sich endlich aufrichtete und zum Zelt des Hauptmannes schlich. Die Worte des Majors hafteten an ihr wie eine Krankheit, die von ihr Besitz ergriffen hatte.
Dieser Mann schreckte vor nichts zurück, wollte sie alle bei lebendigem Leibe verbrennen lassen. Dasselbe Schicksal hatte Antonella ertragen müssen. Vielleicht war es gerecht, dass auch sie in züngelnden Flammen endete. Damit würde sich der Kreis schließen. Es wäre ein Funken Gerechtigkeit in dieser grausamen Welt. Elisabeth wurde speiübel bei dem Gedanken. Mit aller Macht verdrängte sie die Überlegungen. Nicht jetzt, nicht hier.
Als sie am Zelt des Hauptmanns angekommen war, schlüpfte sie direkt unter der Plane hindurch. Gut möglich, dass er nun eine Klinge zwischen ihre Rippen stoßen würde, doch welche Möglichkeit war ihr geblieben?
»Herr Falkensted?«, fragte sie zaghaft. Keine Antwort. Das Zelt lag im Dunkeln, sie konnte nur wenige Zoll weit sehen. »Hauptmann der Stadtwache?«, wiederholte Elisabeth fester.
»Ich trage diesen Titel nicht mehr«, knurrte er aus der hintersten Ecke. Augenblicklich entzündete er eine Kerze, die das Zelt mit flackerndem Lichtschein erhellte. Polternd wuchtete er eine Flasche auf den Tisch und legte seine Hand auf den Griff seines Säbels. »Wer seid Ihr?«
Elisabeth trat näher und wollte sofort wieder einige Schritte zurückweichen. Obwohl die letzten Tage sie abgehärtet hatten, wurde sie von der bestialisch stinkenden Alkoholfahne überrascht. Ihr Herz pochte, als sie die Decke auf ihre Schultern legte und den Blick auf ihr Haupt freigab.
»Ich kenne Euch«, flüsterte der Hauptmann und ging auf sie zu. »Euer Gesicht, diese Augen, das alles wirkt wie ein alter Traum aus längst vergangenen Tagen.«
Elisabeth musste durch den Mund atmen, als er mit seinen rauen Händen ihre Wangen berührte und aus zusammengekniffenen Augen ihr Antlitz fixierte. Der Soldat wankte bedrohlich, war kaum mehr imstande, sich auf den Beinen zu halten, und konnte nur noch lallen.
»Diese Augen … ich kenne sie. Sie erinnern mich an ein Mädchen. Doch dessen Augen sprühten nur so vor Arroganz und Selbstverliebtheit. Sie lärmte fürchterlich und meinte, ihr gehöre die ganze Welt. Eure wiederum wirken scheu, beinahe ängstlich, als wärt Ihr dem Teufel persönlich begegnet.«
»Auch ich kenne Euch, Hauptmann der Stadtwache.«
Dieser Satz versetzte ihn in blinde Raserei.
»Ihr sollt mich nicht mit diesem Titel ansprechen!« Die Flasche warf er dabei mit voller Kraft auf den Boden. Sie zerbarst in unzählige Scherben. »Das ist vorbei. Alles ist vorbei«, stöhnte er kraftlos und musste sich am Tisch abstützen. Plötzlich schien Leben in seine Augen zurückzukehren und er näherte sich ihr erneut. »Wartet. Ihr seid es. Die Tochter des Statthalters von Kempen. Elisabeth Dannen.«
»Ja, Herr«, entgegnete sie zaghaft, voller Sorge, dass die umliegenden Soldaten sie hören könnten. Sehr lange hatte sie ihren vollen Namen nicht mehr vernommen. Er fühlte sich nicht mehr richtig an.
Der Hauptmann brach in schallendes Gelächter aus und erneut zuckte Elisabeth zusammen. »Ihr wart diejenige, die dieses Adoptivmädchen in den Tod geschickt hat. Wie hieß die Kleine doch gleich?«
»Antonella.« Ihre Stimme brach. Als würde sich ihr Körper dagegen wehren, diesen Namen auszusprechen.
»Richtig, Antonella. Die Leute haben mir davon erzählt. Sagt, war sie wirklich eine Hexe?«
Es war, als würden Hunderte Nadelstiche auf einmal ihr Herz malträtieren. Voller Scham sah sie zu Boden und Tränen tropften von den erhitzten Wangen, als sie heftig den Kopf schüttelte.
Hörbar atmete er aus und ließ sich in einen Stuhl fallen. Anschließend musterte er sie von oben bis unten. »Dachte ich es mir. Was machst du hier im Gefolge der Hessen? Ein Lehrmädchen wirst du kaum sein – in diesem Kleid. Eine Dirne vielleicht?«
Erneut war es ihr lediglich möglich zu nicken.
»Was für ein tiefer Fall. Von der Schönheit, von der die ganze Region sprach, zu einer Hure, die von
Weitere Kostenlose Bücher