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Die Dirne vom Niederrhein

Die Dirne vom Niederrhein

Titel: Die Dirne vom Niederrhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Thiel
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sich seiner Hose entledigen wollte, fand ich die Kraft zu schreien … Ich wollte ihn von mir stoßen, doch er war einfach zu kräftig, sein Griff wie aus Stein … Ich konnte es einfach nicht.«
    Elisabeth konnte lediglich mutmaßen, wie schwer es für das Mädchen sein musste, darüber zu reden.
    »Schließlich donnerte seine Hand auf mich nieder. Ich weiß nicht, was mir noch widerfahren wäre, wenn Mutter Rosi ihn nicht gestoppt hätte. Als sie gegen die Tür hämmerte, ließ er endlich von mir ab.« Ein weiteres Mal füllten ihre Augen sich mit Tränen.
    Während Elisabeth ihr weiter Trost spendete, kam Rosi in den Wagen und setzte sich mit gutmütiger Miene auf das Bett. »Wie geht es unserer Kleinen?«, wollte sie sanft wissen.
    »Er hat sie übel zugerichtet«, antwortete Elisabeth und machte ein wenig Platz, damit Rosi ihre Tinktur auf die Wunden auftragen konnte.
    »Das wird dir guttun.«
    Elisabeth bewunderte diese Frau. Noch eben hatte sie sich voller Zorn mit dem mächtigsten Mann des Lagers angelegt und jetzt tröstete sie mit Engelsgeduld einen ihrer Schützlinge. Es war die gleiche Wortwahl, der gleiche beruhigende Tonfall ihrer Stimme wie bei Elisabeth, als sie in diesem Bett gelegen hatte.
    Behutsam strich Rosi Bela die Haare aus ihrem Gesicht und beugte sich zu dem Mädchen hinunter. »Erzähl mir mal, was genau passiert ist.«
    »Mutter Rosi«, flüsterte Elisabeth. »Ich würde gerne noch ein wenig frische Luft schnappen.«
    »Du willst noch etwas spazieren?« Rosi drehte sich zu ihr um. »Also gut, ich habe hier noch zu tun. Bleib aber in der Nähe des Lagerfeuers. Heute Nacht wird kein Freier mehr bedient. Danach legst du dich zu Bela und hütest ihren Schlaf. Hast du verstanden, Kind?«
    »Ja, Mutter Rosi.«
    »Und Elisabeth«, sagte Rosi, ohne aufzusehen, als Elisabeth bereits den Türknauf in der Hand hielt. »Sei vorsichtig.«
    Hastig schnappte Elisabeth sich eine Decke und warf sich diese über den Kopf, als sie neben das Feuer trat. Sie versteckte die blonden Locken unter dem Stoff, als sie in Richtung der Offizierszelte ging. Eile war geboten – wenn Elisabeth den Hauptmann in diesem Irrgarten des Krieges verlor, könnte sie bis zum Morgengrauen suchen und würde ihn dennoch nicht finden. Nie zuvor hatte sie sich so weit von der Wagenburg entfernt. Selbst in der tiefsten Nacht wollte die Zeltstadt nicht schlafen. Ein wahrer Nachtrab an Menschen machte aus diesem Tross eine bunte Gesellschaft. Bäcker, Metzger, Pferdejungen, alles war hier vertreten, sogar Barbiere, die die Bärte der Soldaten stutzten, sofern letztere es sich leisten konnten. Einige Bessergestellte trugen prächtige Stoffe, die wallenden Pluderhosen fielen dabei genauso auf wie der mächtige Federschmuck, den eine Handvoll Landsknechte auf ihren Hüten trugen. Die Wanderarbeiter des Todes schienen jeder Armee zu dienen, so hatte es zumindest Elisabeths Vater einmal gesagt. Der Tod ist ihr Beruf, das Handgeld und die Beute ihr Himmel. Nur ihre Waffen sind ihnen heilig. Einige besaßen alte Vorderlader, 40 Pfund schwere Ungetüme, die bereits etliche Jahrzehnte verwendet wurden, andere wiederum konnten die leichteren Musketen ihr Eigen nennen. Elisabeth lief weiter, fühlte sich von dem schieren Durcheinander der Sprachen beinahe erschlagen. Sie hörte Laute aus aller Herren Länder, die Vielfalt war unbeschreiblich. Auch die Kleidung konnte unterschiedlicher nicht sein. Wallende bunte Überhosen, eng anliegende Lederhemden – jede Couleur war hier vertreten. Harnische, Helme, Hellebarden, alles war fein säuberlich aufgereiht – eine reisende Stadt. Teilweise schliefen die Männer in ihrem eigenen Unrat, manche hingegen hatten ein ganzes Zelt für sich. Alles war hier möglich, je nach Stand und Geldbeutel. Elisabeth zog sich die Decke tiefer ins Gesicht, versuchte, männlicher zu gehen. Niemand sollte erkennen, dass sie eine Frau war; sie war nur ein weiterer Wegelagerer, ein Bettler, der versuchte, im Gefolge dieser gut geölten Maschinerie zu überleben. Die Hurenmutter hatte ihr zwar umfassenden Schutz versprochen, jedoch war sie sich sicher, je weiter sie sich von der schützenden Wagenburg entfernte, umso weniger konnte ihr Rosi noch helfen. Doch welche Wahl war ihr geblieben? Sie musste den Hauptmann unbedingt sprechen. Nur eine kurze Unterredung – die einzige Verbindung zu ihrem alten Leben.
    Nachdem sie etliche Karren passiert hatte, erreichte sie den Lagermarkt, eigentlichen Mittelpunkt der Zeltstadt. Dort

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