Die Dirne vom Niederrhein
sich um, ehe er, ohne anzuklopfen, die Tür öffnete. Aus seiner Kehle drang ein erleichterter Seufzer, als er Schwester Agathe erblickte. Still saß sie auf ihrem Bett, tief in Gebete versunken. Anscheinend bekam sie nicht einmal mit, wie er sich ihr näherte.
Vorsichtig streckte er die Hand aus und berührte ihre Schulter. Ein spitzer Schrei hallte in ihrem Gemach wider. Ihr Schrecken währte aber nur wenige Augenblicke.
»Du Handlanger des Teufels«, zischte sie aus geschlossenen Zähnen. »Ist dir denn gar nichts heilig? Wie kannst du es wagen? Der Allmächtige wird dich für diese Sünde bestrafen, er wird dich foltern und dir die schlimmsten Qualen zufü…«
»Ist mir bewusst«, winkte Maximilian schroff ab und drückte ihr die Schüssel und das Brot in die Hände. »Hier ist Euer Essen. Ich brauche Eure Hilfe.«
Tatsächlich schien sie über so viel Unverfrorenheit überrascht. »Wer schickt dich?«
»Niemand. Das ist es ja. Ihr sagtet, dass Ihr Unregelmäßigkeiten in den Kassen entdeckt hättet. Was wisst Ihr noch?«
Mit bebender Unterlippe erhob sich die Nonne, schritt zum kleinen Fenster und blickte in die aufgehende Morgensonne. »Du glaubst nicht allen Ernstes, dass ich auf diese Finte hereinfalle. Der Vikar schickt dich, um mich auszufragen. Braucht er einen Zeugen, um mich von Doktor Sylar in die Zellen sperren zu lassen, damit er es vor den Schwestern rechtfertigen kann?«
»Nun, streng genommen sind es keine Zellen …«
»Ich weiß sehr wohl, wie ich die angebliche Krankenstube des Arztes zu bezeichnen habe, junger Schmied.« Sie drehte sich zu ihm um, ihr Ton war schneidend. »Hinter dieser Tür regiert der Irrsinn, ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Gesunde Menschen werden für grausame Experimente missbraucht. Sie werden mundtot gemacht und dafür bekommt er, dieser Ketzer, dieser Antichrist, auch noch Geld. Wenn es nach Vikar Weisen ginge, wäre ich eine dieser armen Seelen, welche in der Krankenstube Höllenqualen erleiden.« Sie blickte erneut aus dem Fenster, als würde sie etwas am Himmel suchen.
Maximilian näherte sich ihr ein paar Schritte. »Ihr wisst davon?«
Schwester Agathe schnaubte verächtlich. »Natürlich, die Wände des Klosters wirken zwar dick, doch sie tragen jedes Wort an das richtige Ohr. Glaub mir, so sehr mich der Vikar auch verteufelt, ich habe noch Freunde unter den Schwestern, die nicht vom rechten Weg abgekommen sind.«
»Wieso geht Ihr nicht einfach? Dafür ist es nicht zu spät.«
Ein weiteres abfälliges Schnauben ließ ihn ihre Antwort erwarten. »Das würdest du machen, richtig? Deshalb kannst du nicht verstehen, warum ich hier bleibe. Wo soll ich denn hin? Nein, junger Bursche. Wenn dieses Kloster untergeht, falle auch ich. Das Schicksal dieser Gemäuer und das meine sind unzertrennbar miteinander verknüpft.«
Maximilian wartete einen Moment ab, ehe er es erneut versuchte: »Ihr spracht die Kassen an, was hat es damit auf sich?«
»Und schon wieder glaubt der Vikar, dass er mich auf so eine einfache Weise in die Irre führen kann. Kein Wort wird über meine Lippen dringen.«
»Schwester Agathe, ich bitte Euch. Ich weiß, dass Ihr mich nicht ausstehen könnt. Allerdings hat sich alles geändert, seit …«
Die Frau drehte ihren Kopf. War da ein Hauch von Interesse in den Augen zu erkennen? »Seit wann?«
Es gab keinen Grund mehr, zu lügen. »Seit sie jemand Bestimmten eingeliefert haben.«
Die Augen der Nonne verengten sich zu Schlitzen. »Geht es um eine der Huren?« Sie musterte ihn von oben bis unten. »Ja, das steht dir gut zu Gesicht. Wer ist sie? Eine Verwandte? Eine frühere Bekanntschaft? Sag bloß, du hast dich in sie verliebt?«
Das dumpfe Läuten der Glocke war nicht zu überhören. Bald würden die Gänge der Abtei voll mit Nonnen sein, die ihr Tagwerk verrichteten. Ihm lief die Zeit davon. Wachsende Panik schnürte ihm den Hals zu. Mehrmals musste Maximilian durchatmen, bevor die Worte über seine Lippen drangen.
»Früher einmal vielleicht. Ich weiß es nicht. Wir kennen uns, doch ich weiß nicht, was ich für sie empfinde. Versteht mich bitte, ich muss wissen, was mit den Bedürftigen passiert.«
Die Nonne schüttelte den Kopf. »Meine Lippen bleiben versiegelt, besonders für einen Diener Babylons.«
Ein paar Augenblicke blieb es still in dem Raum.
»Schwester Agathe, ich habe sie nicht getötet.«
Kurz war eine Regung zu erkennen, ein Zucken ihrer Gesichtszüge. »Wovon sprichst du?«
»Das Mädchen, welches der
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