Die Dirne vom Niederrhein
Fehler bei der Übertragung der Zahlen …« Maximilians Blick senkte sich für einen Augenblick auf die Notizbücher des Vikars herab.
Verstehend nickte der Mann. »Auch die Kurie ist knapp an Geldern zu diesen Zeiten. Bedenke, viele Jahre des Kriegs liegen zwischen dem Heiligen Stuhl und der protestantischen Liga. Es ist somit völlig natürlich, dass es allerorts an Talern mangelt.«
Vikar Weisen machte keine Anstalten, das Gesagte weiter auszuführen, also wandte Maximilian sich zum Gehen.
»Maximilian, da ist noch etwas«, rief ihm Weisen hinterher. »Sei so gut und gib Doktor Sylar den Schlüssel für die Zellen jedes Mal zurück, wenn du die Essensausgabe beendet hast. Dir ist es gestern anscheinend entfallen.«
Nur mit Mühe konnte Maximilian den Kloß im Hals lösen, um zu sprechen. »Ja, Herr.«
»In drei Wochen werde ich aufbrechen in das Lager des Majors von Rosen. Ich möchte, dass du mich begleitest, als meine rechte Hand sozusagen. Am 24. des Junimonats sollen die restlichen Truppen unter General Eberstein Viersen erreichen. Dadurch werden noch mehr Verwundete den traurigen Weg in unsere Krankenstube finden. Auch werde ich mit dem Major wichtige Verhandlungen führen, sollte nichts dazwischenkommen. Ich möchte, dass du all meine Sachen für eine längere Reise zusammenstellst und verstaust, also Schriftstücke, meine Bücher, Kleidung sowie Nahrung für ein paar Tage. Du wirst alle Vorbereitungen treffen – hast du verstanden?«
»Jedes Wort, werter Vikar.«
Der Gang in die Küche und die Krankenstube fiel ihm sehr schwer. Doktor Sylar begrüßte ihn hastig, wie er es immer tat, und war bereits mit einem Patienten beschäftigt. Drei Nonnen versorgten die Wunden anderer Verwundeter; den Gestank, der sich von diesem Zentrum der Schreie ausbreitete, nahm Maximilian kaum wahr.
Als er die Frauen in den Zellen versorgte, sprach er ihnen Mut zu und versuchte ihnen in knappen Sätzen verständlich zu machen, dass die anderen Huren nur wenige Fuß entfernt lagen. Bevor er in Elisabeths Zelle ging, bat er den Arzt, sich die eine oder andere Verletzung einmal genauer anzusehen. Dann war es an der Zeit, die letzte Tür zu öffnen. Elisabeth stand aufrecht, den Umhang schützend um den Körper gelegt und beobachtete, wie sich die Sonne ihren Weg durch den Tag bahnte. Anscheinend war es Doktor Sylar zu viel Mühe, sie wieder zu fesseln. Ihr blondes Haar fiel in Locken über ihre Schultern. Erst als Maximilian den Schlüssel drehte, sah sie sich um.
»Wir haben nicht viel Zeit«, sagte er direkt zu Beginn und drückte ihr die Schale mit dem Essen in die Hände. Dann erzählte er in kurzen Sätzen von den beiden vorangegangenen Gesprächen.
»Ich hätte nicht gedacht, dass du zurückkommst«, entgegnete Elisabeth mit hoffnungsvollem Blick. »Was gedenkst du nun zu tun?«
Maximilian kaute auf seiner Unterlippe. »Ich weiß es nicht, ich brauche Gewissheit. Es gibt so viele Hinweise, so viele Gedanken, die mich beschäftigen. Wenn ich an Schwester Agathes Worte denke oder an Senta. Vieles scheint offensichtlich zu sein – und gleichzeitig so unglaublich.«
»Senta? Das Mädchen, welches du verschont hast?«
Mit großen Augen blickte Maximilian sich um und packte sie kräftig an den Schultern. »Sei doch leise. Dem Vikar ist bereits aufgefallen, dass ich viel Zeit in deiner Zelle verbracht habe. Sollte irgendwer mehr darüber erfahren, bin ich des Todes. Aber nein, Senta war das Mädchen, das ich dem Vikar für die nächtliche Absolution bringen musste.«
Sie legte eine Hand über ihre Lippen und verkniff sich ein Lachen, was ihr jedoch nur schwer gelang. »Ihr Männer … Hast du wirklich geglaubt, dass er ihr die Absolution erteilt?«
Maximilian stöhnte leise auf. »Vielleicht wollte ich es glauben«, flüsterte er in sich gekehrt. »Ich muss die privaten Notizen des Vikars durchstöbern.«
Elisabeth schüttelte den Kopf, stemmte die Hände in die Hüften. »Und wann wird das sein? Jeder Tag, an dem Bela in den Fängen dieses Monsters ist, ist zu viel.«
»Was das angeht, habe ich ebenfalls Neuigkeiten. Vikar Weisen wird sich bald mit Major von Rosen treffen. In drei Wochen. Ich bin mir sicher, dann ergibt sich eine Gelegenheit, einen Blick in seine Bücher zu werfen.«
Ihr Blick war voller Sorge. »Von Rosen ist also immer noch hier«, wisperte Elisabeth und ging nervös in der Zelle auf und ab. »Dieses Ungetüm! Das bedeutet, dass Bela ebenfalls bei ihm ist. Aber drei Wochen? Das ist zu lang,
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