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Die Dirne vom Niederrhein

Die Dirne vom Niederrhein

Titel: Die Dirne vom Niederrhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Thiel
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erledigen für die lange Reise«, sagte er endlich. »Diese Männer werden mich eskortieren, du bist also am Abend allein im Kloster. Ich verlasse mich auf dich, dass es zu keinen … Unregelmäßigkeiten kommt. Vielleicht möchtest du dich noch von denen verabschieden, die dir am Herzen liegen. Es ist durchaus im Bereich des Möglichen, dass wir dieses Kloster für eine längere Zeit nicht zu Gesicht bekommen.«
    Maximilian schüttelte mit dem Kopf. »Ich muss mich von niemandem verabschieden. Aber, werter Vikar, wo soll die Reise hingehen, wenn mir die Frage erlaubt sei?«
    »Das, mein junger Freund, werden wir sehen. Wer kann sagen, wo es uns hin verschlägt? Wenn du uns jetzt bitte entschuldigen würdest, ich bin mir sicher, du hattest einen sehr anstrengenden Tag. Begib dich zur Nachtruhe, ich muss mit den Männern noch einiges besprechen.«
    Mit einer angedeuteten Verbeugung verließ Maximilian die Studierstube. Unsicherheit überkam ihn. Es war beinahe unmöglich, in den bernsteinfarbenen Augen des Mannes zu lesen. Sie waren genauso undurchdringlich wie aufmerksam, und ihnen schien nichts zu entgehen.
    Mit gesenktem Haupt schritt er am Kreuz vorbei, welches ihm bei seiner Ankunft so viel Angst gemacht hatte. Erneut erfasste ihn die Furcht und wieder warf es drohend einen Schatten genau auf sein Gesicht. Doch diesmal blieb er stehen. Maximilian schloss die Augen. Seine Lippen bewegten sich, als er still betete.

Kapitel 16
- Gottes Wege -

    23. Juni 1642 – Johannisnacht

    Heute war es so weit. Es ging um nicht weniger als ihr Leben und das der Frauen, die ihr ans Herz gewachsen waren. Kurz malte Elisabeth sich aus, wie es Bela in der Zeit wohl ergangen war. Sie war der Willkür des tyrannischen Majors völlig ausgeliefert. Dieses kleine Mädchen mit der zerbrechlichen Stimme und den tiefen Augen, aus denen man schwerlich zu lesen vermochte, könnte bereits nicht mehr unter ihnen weilen. Blanke Wut kochte in Elisabeth hoch, wenn sie daran dachte, dass allein ein gut platzierter Schlag des Mannes reichen würde, um sie in den Tod zu schicken. Von Rosen war ein unberechenbares Monster, ein Vulkan, der jede Sekunde auszubrechen drohte. Und sie hatte versprochen, Bela zu schützen, ja, alle Frauen zu beschützen. Anscheinend begleitete sie der dunkle Mantel des Todes. Vielleicht hatte das Dorf damals gar nicht falsch gelegen – abgesehen davon, dass nicht Antonella die Hexe war, sondern sie.
    Mit voller Wucht schlug sie gegen die Wandsteine. Sie spürte den Schmerz. War man noch nicht verrückt, wenn man hier eingeliefert wurde, so stand man nach wenigen Wochen an der Schwelle zum Wahnsinn. Ein kleines Rinnsal Blut lief ihr Handgelenk entlang. Nein, sie war noch nicht tot, und auch der Sensenmann war nicht ihr Begleiter. Wie von Seilen gezogen glitt ihre Hand herab und ruhte schließlich auf ihrem Bauch.
    »Wo Tod ist, da ist Leben«, flüsterte sie.
    Als der Schlüssel umgedreht wurde, schrak sie zusammen.
    »Geht es dir gut, ich habe Stimmen gehört?«, wollte Maximilian mit besorgtem Gesichtsausdruck wissen.
    Elisabeth rang sich ein Lächeln ab. »Es ist alles in Ordnung. Die Geräusche hallen von den Wänden wider in diesen alten Gemäuern.«
    Die Abendsonne neigte sich am Horizont, als Maximilian die Fackel in den Ständer steckte. »Bist du bereit?«
    Elisabeth nickte. »Ich hatte viel Zeit, um mich zu erholen. Auch wenn das Essen jeden Tag weniger wurde, fühle ich mich stark genug für die bevorstehende Nacht.«
    »Gut«, erwiderte Maximilian und stemmte die Hände in die Hüften. »Morgen werden die Truppen des Generals Eberstein die Tore Viersens erreichen. Wir müssen uns sputen.«
    »Und wohin sollen wir gehen?«
    Eine berechtigte Frage, über die sich Maximilian in den letzten Tagen den Kopf zerbrochen hatte. So sehr er auch überlegt hatte, er war immer zu demselben Schluss gekommen. Sie kannten niemanden, hatte nicht viel Geld. Wenn alles gut ging, würden sie ein Tross von 15 Personen sein, mit ihm als einzigem Mann. Ein gefundenes Fressen für marodierende Soldaten. Vor allem, da Major von Rosen den Befehl gegeben hatte, sich Frauen aus den Dörfern zu suchen, seit die Huren nicht mehr zur Verfügung standen. Er räusperte sich mehrmals, das Wort wollte nur schwer über seine Lippen kommen. »Kempen.«
    Elisabeth zuckte zusammen, doch es war eigentlich keine Überraschung für sie. Es war ihre einzige Möglichkeit. Auch wenn das bedeutete, den Schatten der Vergangenheit direkt ins Antlitz zu

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