Die Dirne vom Niederrhein
werden?«
»Sieht ganz so aus«, antwortete Maximilian und blätterte weiter. »Deshalb soll ich alle seine Sachen reisefertig machen.« Er nahm sich wenig Zeit, um die nächsten Seiten zu überfliegen. Mehr brauchte er auch gar nicht. Er hatte alles verstanden.
»Hat sie recht behalten? Die Nonne?«
Maximilian schlug das Buch zu, lehnte seinen Kopf gegen die Wand. »Ja, es ist alles aufgezeichnet. Absichtlich lässt er die Menschen sterben, lässt ihre Namen aber in den Listen stehen, die er zum Erzstift nach Köln schickt. In die Bücher der Abtei trägt er jedoch die wahre Anzahl der Kranken ein, den Rest des Geldes steckt er in den eigenen Geldbeutel.«
»So konnte er über die Jahre ein Vermögen anhäufen«, schlussfolgerte Elisabeth nachdenklich. »Mit den Talern vermochte er es, sich Fürsprecher in Köln, in der ganzen Kurie, vielleicht sogar in Rom zu kaufen. Er hat nun überall Freunde und mit der Unterstützung der Hessen …«
»… will er Erzbischof werden«, beendete Maximilian ihren Satz.
Sie starrten fassungslos in den Raum.
»Was wirst du jetzt tun?«, wollte sie wissen.
»Ich stehe zu meinem Wort. Dieser Mann hat mich geblendet. Ich kann nicht anders, als wenigstens zu versuchen, das Richtige zu tun. Zumindest jetzt noch. Das bin ich ihm schuldig.«
»Du meinst Lorenz?«
»Er hätte es gewollt«, wisperte Maximilian.
Gerne hätte Elisabeth noch etwas gesagt, doch ein metallisches Scheppern durchbrach die Stille. Es drang aus der Krankenstube. »Ist der Arzt zurückgekehrt?«
Maximilian blickte zur offenen Tür der Zelle und erhob sich eilends. »Anscheinend«, flüsterte er mit dem Anflug von Panik in der Stimme. »Ich habe ihm den Schlüssel für die Zellen geklaut, vielleicht sucht er danach … Jedenfalls: Am 23. Juni, in fünf Tagen, wird Vikar Weisen aufbrechen. Einen Tag später soll das gesamte Heer des Generals Eberstein Viersen erreichen. Dann haben wir keine Möglichkeit mehr, zu fliehen.«
Aus weit aufgerissenen Augen blickte Elisabeth ihn an, als er die Fackel an sich nahm und die Türklinke bereits in der Hand hielt. »In fünf Tagen also?«
»Es ist die einzige Möglichkeit, euch alle sicher hier herauszubringen. Danach ist es zu spät.« Schnell verstaute Maximilian die Bücher unter seinem Hemd. Anschließend schlich er aus der Zelle und schloss leise die Tür.
Fünf Nächte noch. Entweder war sie dann tot oder in Freiheit. Elisabeth presste sich die Hand auf den Bauch. Egal, was in fünf Tagen passieren würde, sie musste überleben.
*
»So spät noch wach?«, wollte Doktor Sylar wissen, als Maximilian aus der Zelle trat.
»Natürlich. Ich habe nach unseren Patienten gesehen. Sie machen einen guten Eindruck. Dafür habe ich mir erlaubt, Euren Schlüssel für die Zellen auszuborgen. Er lag auf dem Tisch.«
Der Arzt tastete seine Taschen ab, schüttelte schließlich den Kopf. »Bei so viel Arbeit wird man schon mal ein wenig zerstreut. Ich dachte, ich hätte ihn mitgenommen.« Er nahm den Schlüssel von Maximilian entgegen, lugte argwöhnisch in den Trakt mit den geschlossenen Zellen. »Du warst bei ihr, oder?«
»Bei wem meint Ihr?«
»Bei dieser Blonden, die letzte Tür auf der rechten Seite.«
»Oh, ja. Unter anderem. Sie hat über Schmerzen in ihrem Unterleib geklagt.«
Nachdenklich säuberte der Arzt seine Brillengläser. »So? Das kann ich mir kaum vorstellen. Die Wunde ist hervorragend verheilt. Es war lediglich ein kleiner Stich, mit wenig Blutverlust, zwar schmerzhaft, aber keine große Sache.«
Maximilian rang sich ein Lächeln ab. »Nun, Ihr seid der Arzt.«
Doktor Sylar setzte seine Brille auf und erwiderte das Lächeln. »Es ist gut, dass ich dich hier finde. Vikar Weisen möchte dich beim nächsten Glockenschlag bei sich in der Schreibstube sehen. Es scheint sehr dringend zu sein. Warte, ich begleite dich. Ein paar Worte wollte ich ebenfalls mit ihm wechseln.« Doktor Sylar schloss die Tür der Krankenstube.
Maximilian musste handeln, und zwar schnell. Die Zeit rann ihm wie Wasser durch die Finger. Dieser Heuchler von Vikar. Noch immer hatte Maximilian nicht verdaut, was er soeben gelesen hatte. Er hatte sich blenden lassen. Berauscht von den Worten des Vikars war die Stimme der Vernunft versiegt. Er hatte sich Sand in die Augen streuen lassen, sodass er nicht mehr klar sehen konnte. Er war getäuscht worden von schönen Sätzen. Doch am Ende waren sie nur eins: ein Mummenschanz.
Der Vikar war ein Mann, den es auf keinen Fall zu
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