Die Dirne vom Niederrhein
Kein Wunder, in diesen grausigen Zeiten, in denen sie sich befanden. Irgendwann hörte sie fremde Männerstimmen aus der Krankenstube. Dann wurde es ganz ruhig. Anscheinend hatte der Arzt für den heutigen Tag seine Arbeit beendet. Elisabeth war sich sicher, Maximilian würde nicht mehr kommen. Er hatte sich offensichtlich mit der Situation abgefunden, wollte wegsehen. Ein Verhalten, das er vor einigen Monaten schon vortrefflich beherrscht hatte. Anstatt seinen Bruder von Dummheiten abzuhalten, war er ihm ohne Weitblick gefolgt, bis die Katastrophe nicht mehr aufzuhalten gewesen war. Andererseits gab es keinen Grund, sich zu bedauern. Sie war für Antonellas Schicksal verantwortlich. Es war die gerechte Strafe für ihre Sünden.
In diesem Moment spürte sie, wie ein weiterer Schwall des dicken Haferbreis sich in ihrem Hals hochdrückte. Elisabeth musste sich mehrmals räuspern, trank einen Schluck Wasser und beugte sich zur Sicherheit über den Eimer. Wieder griff sie unter ihren Rock und begutachtete eilends ihre Hand. Immer noch nichts …
Als die Tür geöffnet wurde, erschrak sie. Obwohl an ihren Fingern nichts zu sehen war, versteckte sie intuitiv die Hand hinter ihrem Rücken.
»Es tut mir leid«, presste Maximilian im Flüsterton hervor und schloss die Tür hinter sich so leise wie möglich. »Die Habseligkeiten des Vikars reisebereit zu machen und weitere Vorbereitungen zu treffen, nehmen meine gesamte Zeit in Anspruch.«
»Aber du bist hier«, stellte Elisabeth zu ihrer eigenen Überraschung fest. »Hast du, wonach du suchtest?«
Ein triumphierendes Lächeln umspielte seine Lippen, als er die Fackel in den Wandständer steckte und unter sein Hemd griff. Zum Vorschein kamen drei kleine, in Leder eingebundene Notizbücher. »Normalerweise lässt er die Bücher nie aus den Augen, doch ich hatte Glück. Es scheint, als plane er eine längere Reise, nicht nur in das Lager des Majors. Wir müssen vorsichtig sein.«
»Warum?«, wollte Elisabeth wissen und rückte ein Stück zur Seite, damit Maximilian sich neben sie ins Stroh setzen konnte.
»Anscheinend ist der Vikar argwöhnisch geworden. Immer wieder stellte er mir in den letzten Tagen Fragen über dich und deine Herkunft. Nun, vielleicht bin ich mit meinen Äußerungen zu weit gegangen.«
»Hat er etwas gemerkt?«
Maximilian kratzte sich nachdenklich am Kinn, ging im Kopf die letzten Gespräche durch. »Nein, ich denke nicht, aber er ist vorsichtig.«
Einige Male schluckte Elisabeth, versuchte dieser ewigen Übelkeit Herr zu werden. »Das ist gut. Was steht in den Büchern?«
Hastig schlug Maximilian die letzten Seiten des neuesten Buches auf und überflog die Texte. In fein säuberlicher Schrift hatte der Vikar alles aufgezeichnet. Im dritten Buch waren nur mehrere Dutzend Seiten beschrieben. »Hier sind alle Eingelieferten mit Namen aufgelistet. Dazu die Kosten jedes Einzelnen für die Dauer der Unterbringung.« Er blätterte weiter. »Ein paar private Details über seine neuen Kleider, nichts Wichtiges. Doch, hier. Eine Notiz, dass Rolf Sylar noch mehr gesunde und kräftige Körper für seine Experimente benötigt. Bei seinen Forschungen am Kopf des Menschen würden die Kranken und Schwachen einfach zu schnell wegsterben.« Er sah erstaunt zu Elisabeth. »Dies ist also der Grund, warum er die Frauen pflegt!« Als er die nächste Seite aufschlug, traf es ihn wie ein Schlag. »Das gibt es nicht, das kann nicht sein.«
Elisabeth kam ganz nah an seinen Oberarm, legte den Kopf auf seine Schulter »So sag, was steht dort?«
Seine Lippen bewegten sich beim stummen Lesen, dann erst flüsterte er die Worte:
Und nun denke ich, dass bald meine Zeit gekommen ist. Die Haken sind ausgeworfen, Kontakte und Beziehungen über Jahre geknüpft. Es ist jetzt an mir, die Ernte für meine jahrelange Arbeit unter den widrigsten Bedingungen einzufahren. Mit dem Geld aus der Kurie konnte ich die letzten Zweifler in Köln überzeugen. In den nächsten Tagen werde ich mir die Unterstützung des Majors von Rosen sichern. Wenn die hessisch-französische Armee auf Köln marschiert und der Druck auf das Haus Wittelsbach wächst, ist es so weit. Diese bayerischen Hunde haben viel zu lange den Sitz ihr Eigen nennen können. Nur ich vermag es noch, diese Wucht aufzuhalten, und meine Fürsprecher werden sich schließlich regen. Bald ist es so weit. Bald ist die Mitra mein.
Elisabeth traute ihren Ohren kaum. »Kann er das ernst meinen? Die Mitra? Er will Erzbischof von Köln
Weitere Kostenlose Bücher