Die Dirne vom Niederrhein
blicken. »Kempen also.«
Sie schwiegen einen Moment, bis Maximilian erneut das Wort ergriff. »Der Vikar wird von drei Soldaten bewacht. Bei Sonnenuntergang wollte er letzte Besorgungen machen, gegen Mitternacht will er aufbrechen. Ein Karren steht bereit. Pferde werden später gesandt. Wir müssen also warten, bis er die Abtei verlassen hat, erst dann bin ich mit Doktor Sylar alleine.« Er blickte aus dem Fenster. Die letzten Strahlen der glühenden Sonne drangen durch die Gitterstäbe. »In weniger als einer Stunde werde ich wiederkommen und dann beginnt es.«
Dunkelrot zuckte die Flamme und zauberte tanzende Schatten an die Wand. Irgendwo tropfte Wasser. Das Geräusch schien für diese paar Sekunden allgegenwärtig zu sein.
»Ich muss dir noch etwas sagen, Maximilian.« Elisabeths Stimme zitterte, Angst und Unsicherheit waren mit jedem ihrer Worte verwoben. Die Finger lagen schützend auf ihrem Bauch. »Ich … ich glaube, dass ich dein Kind unter meinem Herzen trage.«
Maximilian drehte den Kopf. Wieder vergingen einige Momente schweigend.
»Wie … wie meinst du das?«
Sie blickte scheu in das Stroh und nestelte an einem Halm. Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. »Ich weiß es einfach. Mein Monatsfluss blieb aus.«
»Du hattest eine Verletzung, hast einen Tritt gegen den Kopf bekommen, vielleicht rührt es daher.«
»Sag kein Wort mehr, bitte«, hauchte sie. »Ich weiß es einfach.« Sofort begann es, in seinem Körper zu brennen, und der Raum drehte sich.
Seine Stimme war nicht feindselig, sondern ruhig und bedächtig. »Du hast etliche Wochen als Hure gearbeitet, ist es nicht möglich, dass einer der …«
»Nein«, schluchzte sie. »Rosi hat immer darauf geachtet, dass wir … Es ist von dir, ich spüre es. Ich kann dir nicht sagen, warum, aber ich weiß, dass es von dir ist.« Langsam rollten Tränen über ihre Wangen und die Finger, mit denen sie sich durch das Gesicht fuhr, begannen zu zittern. »Es tut mir leid.«
Mit geöffnetem Mund hob Maximilian die Hand. Als würde die Zeit langsamer verstreichen, legte er die Hand wie in Zeitlupe auf ihren Bauch, fuhr über den Stoff des verdreckten, zerrissenen Kleides. Jede Silbe war so leise gesprochen, dass selbst das Tröpfeln des Wassers sie mühelos übertönen konnte. »Du trägst mein Kind.«
Sie nickte unter Tränen. Dann nahm er sie vorsichtig in den Arm.
»Es wird alles gut, Elisabeth. Das verspreche ich dir. Bald lassen wir das alles hinter uns. Ich werde dich beschützen. Dich und unser Kind.«
Mit seinen Worten waren alle Dämme gebrochen. Sie hatte sich geschworen, nicht zu weinen, war sich nicht einmal sicher, ob sie ihm ihre Schwangerschaft mitteilen sollte. Doch irgendetwas in ihr, eine stärker werdende innere Stimme, schenkte Elisabeth die Gewissheit, dass es weder die Verletzung noch ein anderer Mann war. Die Frauen, allen voran Uta und Pauline, hatten ihr alles über eine Schwangerschaft erzählt. Eine Frau fühlt, wenn sie ein Kind bekommt, hatte Uta gesagt. Doch dass sie bereits jetzt dieses Wissen anwenden musste, daran hätte Elisabeth im Traum nicht gedacht.
Die Arme um Maximilian geschlungen, weinte sie an seiner Schulter. Es war zu viel. Einfach viel zu viel.
*
In diesem Moment war alles andere gleichgültig. Er wurde Vater, verdammt noch mal. Während er Elisabeths Atem an seinem Hals spürte, drückte er sie fest an sich. Ohne es zu wollen, lächelte er. Seine Augen weiteten sich und zum ersten Mal seit langer Zeit weinte er vor Freude.
»Ich hole dich hier raus«, flüsterte Maximilian. »Und diese Frauen. Ihnen geht es gut, ihre Wunden sind nicht entzündet, sie können alle gehen.«
Elisabeth wischte sich über die geröteten Wangen. »Werden wir es schaffen, Maximilian?«
Noch einmal legte er die Hand auf ihren Bauch. »Wir müssen.«
Selten hatte er Worte so ernst gemeint wie in diesem Augenblick. Langsam ging er zur Tür. An der Schwelle hielt er inne, drehte sich noch einmal um und lächelte sie an. Sie trug ein Kind unter ihrem Herzen. Sein Kind. Das Herz pochte wild in seiner Brust und mit jedem Schlag wurden alle verbliebenen Zweifel leiser. Nichts würde ihn aufhalten, diese Frau und sein ungeborenes Kind zu beschützen. Nichts und niemand.
Ein leises Klacken in seinem Rücken ließ ihn sich misstrauisch umsehen. Wie konnte die Tür der gegenüberliegenden Zelle einfach so aufspringen?
Maximilian blickte in die Dunkelheit des Ganges, hatte die Klinke noch in der Hand. Auch Elisabeth erhob
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