Die Doppelgaengerin
war er nicht schlau genug gewesen, darauf zu achten. Sein Sakko sah aus, als hätte er eine Woche lang darin geschlafen, obwohl er es bestimmt heute Morgen frisch angezogen hatte.
»Ich habe den Chief seit heute Vormittag nicht mehr gesehen«, sagte ich und trat dabei einen Schritt zurück, damit ich die Unterhaltung beenden und die Bürotür schließen konnte. »Viel Glück noch.«
Statt weiterzugehen, machte er einen Schritt nach vorn und stellte sich in die noch offene Tür. »Gibt es hier so was wie einen Pausenraum, wo er vielleicht Kaffee trinkt oder so?«
»Er ist der Chief«, antwortete ich knapp. »Ich würde meinen, dass er eine eigene Kaffeemaschine hat. Und jemanden, der ihm den Kaffee bringt.«
»Warum kommst du nicht mit, und wir suchen ihn gemeinsam? Wir könnten ein wenig über die alten Zeiten plaudern.«
»Nein danke. Ich habe noch zu arbeiten.« Ich deutete auf Wyatts Schreibtisch, auf dem ein Haufen Arbeit für ihn und außer meinem Notizblock keine Arbeit für mich lag, aber natürlich war ich seine Unterlagen noch mal durchgegangen, weshalb es irgendwie auch meine Arbeit war.
»Ach was«, widersprach Jason milde. Er steckte die Hand in die Sakkotasche und zog eine Pistole mit kurzem Lauf heraus. »Du kommst mit mir. Wir haben eine Menge zu besprechen.«
28
Selbstverständlich wäre ich nicht mitgegangen, wenn er mir nicht die Pistole in die Nieren gedrückt hätte, aber weil er es tat, tat ich es auch. Ich war irgendwie unter Schock und bemühte mich redlich, aber vergeblich zu begreifen, was mit mir passierte. Diesmal konnte ich die Zeit, bis sich mein Unterbewusstsein der Situation stellen wollte, nicht überbrücken, indem ich im Geist Pirouetten drehte. Bis ich begriffen hatte, dass er mich vor so vielen Zeugen bestimmt nicht erschießen würde – denn es waren ein paar Polizisten im Revier geblieben –, war es schon zu spät; da saß ich bereits in seinem Auto.
Er ließ mich fahren und zielte dabei mit der Pistole auf mich. Ich überlegte, ob ich das Auto an einen Telegrafenmasten setzen sollte, aber mir graute davor, schon wieder in einen Unfall verwickelt zu werden. Mein armer Körper hatte den letzten noch nicht recht verwunden. Und ich wollte keinesfalls den nächsten Airbag ins Gesicht geknallt bekommen. Ja, ich weiß, blaue Flecken vergehen, während blaue Bohnen für die Ewigkeit sind, weshalb diese Entscheidung vielleicht nicht wirklich schlau war. Nur für den Fall, dass ich doch noch gegen einen Telegrafenmasten rasen musste, schaute ich dennoch kurz aufs Lenkrad, um mich davon zu überzeugen, dass das Auto einen Airbag hatte. Natürlich hatte es einen, immerhin war es ein fast neuer Chevrolet, aber nach der vergangenen Woche wollte ich wirklich ganz sicher sein.
Komischerweise war mir zwar bange, aber ich hatte keine Todesangst. Also, wenn man eines über Jason wissen muss, dann ist es die Tatsache, dass er für sein Image einfach alles tun würde. Sein ganzes Leben kreiste um die politische Karriere, um Meinungsumfragen und um seine beruflichen Ziele. Wie er glauben konnte, ungestraft einen Mord begehen zu können, nachdem mehrere Menschen beobachtet hatten, wie ich mit ihm weggegangen war, war mir ein Rätsel.
Ich folgte seinen Anweisungen und wartete gleichzeitig darauf, dass er das erkannte, aber irgendwie schien er in seinem ureigenen Alternativ-Universum gefangen zu sein. Wohin er mich bringen wollte, war mir schleierhaft; ehrlich gesagt hatte ich den Eindruck, dass wir ziellos durch die Stadt kurvten, während er darüber nachgrübelte, wohin wir fahren sollten. Er zupfte an seiner Unterlippe herum, was er, wie mir wieder einfiel, immer tat, wenn er sich Sorgen machte.
»Du hattest eine schwarze Perücke auf, stimmt’s?«, fragte ich möglichst beiläufig. »Als du meine Bremsleitungen durchgeschnitten hast?«
Sein Blick zuckte nervös zu mir herüber. »Woher weißt du das?«
»Ein paar Haare hatten sich im Unterboden verfangen. Die Spurensicherung hat sie gefunden.«
Er sah mich leicht verdutzt an und nickte schließlich. »O ja. Ich erinnere mich, dass sich die Perücke irgendwie verhakt hatte. Aber weil ich nichts spürte, habe ich gar nicht gemerkt, dass dabei ein paar Haare ausgerissen wurden.«
»Sie sind gerade dabei, eine Liste von Leuten zu erstellen, die eine schwarze Perücke gekauft haben«, log ich. Wieder sah er mich nervös an. Eigentlich war es nur halb gelogen. Sobald Wyatt meinen Notizblock mit dem umkringelten Wort »Perücke«
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