Die Dornenvögel
ihn bitten,
sich um Frank zu kümmern, meinst du nicht auch?«
Ihre Augen blieben ausdruckslos, doch auf ihren Wangen zeigte sich ein Hauch von Röte. »Ja, Paddy, tue das. Vergiß nur nicht, Pater de Bricassart zu schreiben, daß Frank nicht einmal ahnen darf, daß wir etwas wissen.«
Innerhalb weniger Tage gewann Fee ihre Energie zum größten Teil zurück, und die Neueinrichtung des Hauses nahm sie weiterhin in Anspruch. Doch ihre stille Art gewann wieder die Oberhand, und wenn sie auch nicht so verdrossen oder verbissen wirkte wie früher einmal, so war sie doch gleichsam eingesponnen in einem Kokon aus Stille, durch innere Trennwände von den anderen geschieden. In der Tat schien ihr Interesse für die Einrichtung des Herrenhauses größer zu sein als ihre Sorge um das Wohlergehen der Familie. Dabei war es gerade jetzt so, daß die Familie an Fees Gefühlen und an ihrem Kummer in einer Weise Anteil nahm, wie das früher kaum denkbar gewesen wäre. Die Zeitungsmeldung über Franks Schicksal hatte alle tief getroffen, doch was vor allem den älteren Söhnen schreckensvoll im Gedächtnis haftenblieb, war die Erinnerung an das Gesicht ihrer Mutter, an die schroffe Veränderung darin. Gerade in den zurückliegenden Wochen hatten sie Fee als einen gänzlich umgewandelten, nämlich glücklichen Menschen kennengelernt. Die Jungen liebten ihre Mutter, und sie wünschten, wünschten geradezu leidenschaftlich, daß in Fees Augen jener zufriedene, von innen her belebte Ausdruck zurückkehren möge.
Früher war für die Cleary-Jungen Paddy der Mittelpunkt gewesen, um den sich ihr Leben herumbewegte. Jetzt rückte Fee gleichsam unmittelbar daneben. Sie behandelten ihre Mutter mit einer Zartheit und Rücksichtnahme, die sich auch durch Fees Gleichgültigkeit nicht beirren ließ. Und diese Einstellung, diese sozusagen bedingungslose ständige Bereitschaft für Fee erwarteten die Cleary-Söhne - ausgenommen nur Patsy und Jims, die ganz einfach noch zu
jung waren - auch von jedem anderen.
Als Paddy ihr den Perlenschmuck gab, bedankte sie sich kurz dafür. Flüchtig streifte ihr Blick über die Halskette und die Ohrringe, in ihren Augen zeigte sich nicht die leiseste Freude, und alle dachten, wie anders sie zweifellos reagiert hätte, wäre nicht die Geschichte mit Frank gewesen.
Für Meggie erwies sich der Umzug ins große Haus als wahres Glück. Die männlichen Clearys setzten jetzt nämlich als völlig selbstverständlich voraus, daß Meggie ihrer Mutter jede Arbeit abnahm, die dieser zuwider war. Im Haus am Creek hätte sich das keinesfalls auch nur annähernd bewerkstelligen lassen, im großen Haus gab es zum Glück die Haushälterin und die beiden Dienstmädchen. Im übrigen nahm Mrs. Smith die Zwillinge jetzt völlig in ihre Obhut. Fee schienen ihre beiden jüngsten Söhne ganz buchstäblich »zuviel« zu sein. Mrs. Smith ihrerseits ging so bereitwillig in ihrer Rolle als Ersatzmutter auf, daß man sie wegen ihrer zusätzlichen Pflichten gewiß nicht zu bedauern brauchte.
Auch Meggie sorgte sich um ihre Mutter, doch gewiß nicht im gleichen Maße wie die Männer. Der Grund dafür war einfach: Anders als bei ihrem Vater und bei ihren Brüdern wurde bei ihr die gutwillige Ergebenheit ständig auf eine sehr harte Probe gestellt. Noch etwas kam hinzu. Daß Fee den Zwillingen gegenüber eine so unglaubliche Gleichgültigkeit zeigte, verletzte zutiefst Meggies mütterlichen Instinkt. Wenn ich einmal Kinder habe, dachte sie oft, werde ich niemals eines von ihnen mehr lieben als die übrigen. Das Leben in einem so großen Haus war doch in vielem ganz anders. Zunächst einmal schien es sonderbar, ein Schlafzimmer für sich zu haben. Und irgendwie kam es einem auch merkwürdig vor, daß die schier zahllosen Alltagspflichten jetzt von Minnie und Cat und Mrs. Smith übernommen wurden, die sich geradezu entsetzt zeigten, wenn man ihnen seine Hilfe anbot beim Saubermachen oder Kochen, Wäschewaschen oder Bügeln. Für das Füttern der
Hühner und der Schweine und ähnliches mehr hatte man immer irgendwelche Hilfsarbeiter, die daneben dem alten Tom auch halfen, die wunderschönen Gärten zu pflegen.
Paddy stand inzwischen mit Pater Ralph in brieflicher Verbindung. »Der Gesamtgewinn aus dem, was Mary hinterlassen hat, beträgt jährlich rund vier Millionen Pfund«, schrieb der Priester, »und das dank der Tatsache, daß es sich bei Michar Limited um eine Privatgesellschaft handelt, deren Beteiligungen sich hauptsächlich auf die
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