Die Dornenvögel
Fall gelesen, und er werde die Sache für sich behalten und der
Familie auf gar keinen Fall etwas sagen.
Sie lasen den Brief, mehrmals natürlich, und der Gedanke an Pater Ralph brachte Paddy darauf, daß da ja noch die braune Stute war, die der Priester immer geritten hatte. Ob er sie nicht verkaufen solle? Nein, auf gar keinen Fall, meinte Meggie. Sie könne ja die Stute reiten, außer dem Treiberpferd, das sie früher schon zum Ausreiten benutzt hätte. Es handelte sich um einen Wallach, einen Rappen. »Bitte, Daddy«, sagte sie, »behalten wir die Stute doch. Stell dir nur vor, er kommt zu Besuch und muß feststellen, daß sein Pferd nicht mehr für ihn bereitsteht. Das wäre doch sehr peinlich, nachdem er sich uns gegenüber so freundlich gezeigt hat.«
Paddy betrachtete seine Tochter nachdenklich. »Meggie, ich glaube nicht, daß der Pater noch einmal nach Drogheda kommen wird.« »Aber man kann nie wissen, Daddy. Es könnte doch sein.« Er schwieg. Armes kleines Ding! Er brachte es nicht über sich, ihr weh zu tun.
»Also gut, Meggie«, sagte er schließlich. »Aber sieh zu, daß du auch wirklich beide reitest, die Stute und den Wallach. Ein verfettetes Pferd kann ich auf Drogheda nicht brauchen, hörst du?« Bis dahin hatte sie sich irgendwie gescheut, auf Pater Ralphs Stute zu reiten. Jetzt ritt sie die beiden Tiere abwechselnd, damit sie den nötigen Auslauf hatten.
Es war ein trockener Winter gewesen, und der Sommerregen wollte und wollte nicht kommen. Das Gras, zuvor kniehoch und üppig, welkte unter der glutenden Sonne immer mehr dahin, bis jeder Halm bis ins Innerste brüchig zu sein schien. Blickte man über eine Koppel hinweg, so verengte man, unter der tief in die Stirn gezogenen Hutkrempe, die Augen zu schmalen Schlitzen. Wie Glimmersilber war das Gras, und kleine, strudlige Winde hasteten emsig durch das gaukelnde Blau und schleppten bald hier und dort Haufen aus totem Laub und abgerissenen Halmen zusammen.
Herrgott, war das trocken! Selbst die Bäume waren trocken. Wie in borkigen Schwarten schälte sich die Rinde von den Stämmen. Was die Schafe betraf, die hatten noch genug zu fressen. Mindestens ein Jahr würde das Gras noch reichen, wahrscheinlich sogar länger - aber keiner konnte es leiden, wenn alles so fürchterlich trocken war. Und außerdem: Es mochte durchaus sein, daß es weder im nächsten noch im übernächsten Jahr regnete. In einem guten Jahr betrug die Niederschlagsmenge 25 bis 45 cm, in einem schlechten Jahr waren es höchstens so um 10 cm, manchmal auch so gut wie gar nichts. Trotz der Hitze und der Fliegen liebte Meggie das Leben draußen auf den Koppeln. An diesem Tag war sie eine Zeitlang hinter der Herde einhergeritten, in ganz gemächlichem Schrittempo, während die Schafe fraßen und blökten, und oft mehr blökten als fraßen. Doch jetzt ritt sie - heute hatte sie die braune Stute - vor der Herde, um das Koppeltor zu öffnen, und war recht froh, endlich einmal aus dem hochgewirbelten Staub herauszukommen. Die Schafe drängten durch das geöffnete Tor, und die Hunde zeigten sich begierig, ihre Fähigkeiten zu beweisen. Sie hielten die Herde so in Schach, daß die Tiere gleichsam in geballter Ordnung durch die Öffnung preschten. Ihr wahres Können bewiesen die Hunde jedoch am besten, wenn es sich um einen sogenannten »Trieb« handelte: Herden von enormer Größe, die über weite Strecken getrieben werden mußten. Es war eine Arbeit, die die Hunde liebten, obwohl - oder vielleicht weil - sie alles andere als ungefährlich war. Eine durchgehende Herde rannte einen unvorsichtigen Hund glatt über den Haufen und trampelte ihn tot. Allerdings: Solche Aufgaben überließ Paddy nicht seiner Tochter, die übernahm er selbst. Die Hunde faszinierten Meggie immer aufs neue. Ihre Intelligenz schien phänomenal. Die meisten waren Kelpies, bräunliches Fell, an Pfoten, Brust und über den Augen heller getönt. Aber es gab auch Queensland-Blues, größer als die Kelpies, mit blaugrauer Färbung, schwärzlich gesprenkelt, und außerdem sah man, in allen möglichen Varianten, Kreuzungen zwischen den Kelpies und den Blues. Waren die Hündinnen läufig, so ließ man sie jeweils von jenen Rüden bespringen, die für die Zucht am besten geeignet schienen. Später probierte man die Welpen recht früh auf den Koppeln aus. Die guten verkaufte man, falls man sie nicht für den Eigenbedarf behielt. Jene, die nichts taugten, wurden erschossen.
Jetzt pfiff Meggie ihren Hunden, schloß dann
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