Die Dornenvögel
James Ogilvie, der Hotelbesitzer, Sergeant Tom Beardsmore von der Goulburner Polizei. Dieser kam mit zwei Konstablern. Auf der Straße hinter dem Hotel fanden die Beamten Cleary, der dem bewußtlos auf dem Boden liegenden Cumming mit den Füßen gegen den Kopf trat. Seine Fäuste waren mit Blut befleckt und hielten noch Büschel von Cummings Haar. Bei seiner Festnahme war Cleary zwar angetrunken, jedoch vernehmungsfähig. Cumming starb am nächsten Tag im Goulburner Bezirkskrankenhaus an den erlittenen Gehirnverletzungen, und Cleary wurde wegen Mordes angeklagt. Beim Prozeß machte Mr. Arthur Whyte, der Verteidiger, zunächst geltend, auf Grund von Unzurechnungsfähigkeit könne der Angeklagte für seine Tat nicht verantwortlich gemacht werden. Doch vier medizinische
Sachverständige, von der Krone in den Zeugenstand gerufen, stellten übereinstimmend fest, nach der Definition der sogenannten McNaughton-Gesetze könne Cleary nicht als unzurechnungsfähig oder geistesgestört gelten. Richter Fitz Hugh-Cunneally wandte sich sodann an die Geschworenen und erklärte, einen Zweifel an der Schuld des Angeklagten könne es nicht geben, doch solle die Jury sorgfältig darüber befinden, ob sie Milde oder Strenge für angezeigt halte, da er sich bei der Strafzumessung davon leiten lassen werde. Bei der Urteilsverkündung nannte Richter FitzHugh-Cunneally die Tat des Angeklagten einen Akt entmenschter Bestialität«. Er bedauerte, daß die Umstände - der angetrunkene Zustand des Angeklagten zur Tatzeit, die fehlende Vorsätzlichkeit - die Todesstrafe ausschlossen. Nach seinem Dafürhalten seien Clearys Hände als Waffe ebenso tödlich wie eine Pistole oder ein Messer. Cleary wurde zu lebenslangem Kerker bei Schwerarbeit verurteilt und wird die Strafe im Goulburner Gefängnis verbüßen, da diese Anstalt eigens für zu Gewalttätigkeiten neigende Häftlinge eingerichtet ist. Gefragt, ob er noch etwas sagen wolle, erwiderte Cleary: >Daß nur meine Mutter nichts davon erfährt.««
Paddys Blick glitt zum Datum. 6. Dezember 1925 stand dort. »Es ist über drei Jahre her«, sagte er hilflos.
Niemand sprach. Sekundenlang war alles sehr still. Dann klang vom andern Raum das fröhliche Lachen der Zwillinge herein.
»Daß nur - meine Mutter - nichts erfährt«, sagte Fee wie betäubt.
»Und bis jetzt habe ich auch nichts erfahren. Von niemandem. O Gott! Mein armer, armer Frank!«
Mit dem Rücken seiner freien Hand wischte Paddy sich die Tränen vom Gesicht. Dann hockte er sich vor Fee nieder und klopfte mit der flachen Hand sacht auf ihre Knie.
»Liebes, laß uns packen. Wir fahren zu ihm.«
Sie erhob sich, halb nur, setzte sich wieder. Die Augen in dem kleinen, weißen Gesicht wirkten bewegungslos, geweitete Pupillen, eigentümlich starres Glänzen, wie tot.
»Ich kann nicht zu ihm fahren«, sagte sie, und obwohl aus ihrer Stimme nicht die leiseste Qual zu klingen schien, war diese Qual dennoch deutlich spürbar. »Es würde ihn töten, mich zu sehen. Oh, Paddy, es würde ihn töten! Ich kenne ihn so gut - seinen Stolz, seinen Ehrgeiz, seine Entschlossenheit, etwas Besonderes zu werden. Laß ihn mit seiner Scham allein fertig werden. Es ist das, was er will. Du hast es ja vorgelesen. >Daß nur meine Mutter nichts davon erfährt. < Wir müssen mithelfen, daß er sein Geheimnis bewahren kann. Was würde es ihm oder uns nützen, wenn wir ihn besuchten?«
Paddy weinte noch immer, doch er weinte nicht um Frank. Er weinte, weil in Fees Gesicht kein Leben mehr war und in ihren Augen ein Sterben. Der Junge hatte noch nie etwas anderes gebracht als Unglück. Stets hatte er zwischen Fee und ihm gestanden, hatte von Anfang an dafür gesorgt, daß ihre Liebe nicht ihm, Paddy, und seinen Kindern gehörte. Und immer wenn es so aussah, als könnte Fee in diesem Leben doch noch glücklich werden, machte Frank ihr Glück zunichte. Doch Paddys Liebe für sie war so tief und so unauslöschlich wie ihre Liebe für Frank.
Plötzlich tauchte die Erinnerung an jenen weit zurückliegenden Abend im Pfarrhaus in Gillanbone in ihm auf, an den heftigen Streit mit Frank. Nein, nie wieder würde er es fertigbringen, den Jungen zum Sündenbock zu stempeln.
Er sagte: »Wenn du meinst, es ist besser, daß wir keine Verbindung zu ihm aufnehmen, Fee, dann tun wir das natürlich auch nicht. Aber es wäre doch gut zu wissen, wie es ihm geht und ob man vielleicht irgend etwas für ihn tun kann. Ich könnte doch Pater de Bricassart einen Brief schreiben und
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