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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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Dschungel, hauptsächlich Bambus und Palmen, als hätten es die Besitzer aufgegeben, dort so etwas wie eine gärtnerische Ordnung zu schaffen.
    Was Meggie wirklich schockierte, war der Anblick, den Männer und Frauen hier boten. Für das Essen im Restaurant und den anschließenden Spaziergang hatte Meggie sich so gekleidet, wie das Sitte und Anstand nun einmal verlangten: hochhackige Schuhe, Seidenstrümpfe, Satinunterrock und Seidenkleid mit halblangen Ärmeln und Gürtel. Was sie am meisten irritierte, war die Tatsache, daß die Leute sie anstarrten, als wäre sie nicht schicklich gekleidet. Die meisten Männer waren, bis auf ihre verschmuddelten khakifarbenen Shorts, ganz einfach nackt. Sie trugen auch keine Schuhe, und wer ausnahmsweise nicht mit bloßem Oberkörper herumlief, hatte nicht etwa ein Hemd an, sondern nur ein Unterhemd. Noch schlimmer war’s allerdings mit den Frauen. Manche trugen dürftige Baumwollfähnchen, wobei sich deutlich erkennen ließ, daß sie auf jegliche Unterwäsche ganz schlicht verzichteten. Strümpfe? Natürlich keine Spur. Höchstens abgetretene Sandalen. Doch die meisten gingen barfuß und trugen im übrigen Shorts wie die Männer, nur daß es ausnehmend kurze Shorts waren. Als Oberteil genügten ihnen winzige ärmellose Fetzen, die mehr unbedeckt ließen als sie bedeckten. Hier in Dungloe befand man sich in einer zivilisierten Stadt und nicht am Strand. Dennoch ließen sich die weißen Einwohner praktisch unbekleidet sehen. Selbst die Chinesen waren besser angezogen.
    Überall sah man Fahrräder, zu Hunderten, wenige Autos, überhaupt keine Pferde. Alles war doch sehr viel anders als in Gilly. Und dann diese Hitze, diese unglaubliche, diese fürchterliche Hitze. Sie kamen an einem Thermometer vorbei, und Meggie warf rasch einen Blick darauf. Nur zweiunddreißig Grad, einfach unfaßbar. Da kam es einem in Gilly ja bei fünfundvierzig Grad kühler vor! Meggie hatte das Gefühl, sich nicht durch Luft hindurch zu bewegen, sondern durch eine glitschige Masse, ähnlich feuchter, dampfender Butter, und beim Atmen schien Wasserdampf in ihre Lungen zu dringen. »Luke, das ist ja unerträglich!« keuchte sie schon nach kurzer Zeit. »Bitte, können wir zurückgehen?«
    »Wenn du willst. Was dir so zusetzt, ist die Luftfeuchtigkeit. Die beträgt selten weniger als neunzig Prozent, ob es nun Winter ist oder Sommer, und die Temperaturen bewegen sich allgemein so zwischen dreißig und fünfunddreißig Grad. Großen Unterschied zwischen den Jahreszeiten gibt es nicht. Allerdings steigt die Luftfeuchtigkeit im Sommer durch den Monsun bis auf hundert Prozent.«
    »Sommer- und nicht Winterregen?«
    »Das ganze Jahr über. Hier hört der Monsun eigentlich nie auf, und falls doch, nun, dann sind da die Südostwinde, die gleichfalls sehr viel Regen mitbringen. Die jährliche Niederschlagsmenge schwankt so zwischen drei und sieben Metern.«
    Sieben Meter Regen pro Jahr! Das arme Gilly war außer sich vor Freude, wenn es dort vierzig Zentimeter wurden! »Kühlt es wenigstens nachts ab?« fragte Meggie, als sie das Hotel erreichten. Im Vergleich zu dieser Dampfbad-Atmosphäre schienen selbst die heißesten Nächte in Gilly recht erträglich. »Nicht sehr. Aber du wirst dich daran gewöhnen.« Er öffnete die Tür zum Zimmer. Während Meggie eintrat, blieb er selbst draußen stehen. »Ich gehe auf ein Bier nach unten in die Bar und werde so in einer halben Stunde wieder hier sein. Die Zeit sollte dir eigentlich genügen, nicht?«
    Verdutzt suchte ihr Blick sein Gesicht. »Ja, Luke.« Dungloe lag siebzehn Breitengrade südlich vom Äquator, und so fiel die Nacht herab wie ein schwarzer Block. Kaum war die Sonne untergegangen, so herrschte auch schon tiefe Dunkelheit. Als Luke zurückkam, hatte Meggie bereits das Licht ausgeschaltet und lag im Bett, unter einem Laken. Lachend griff er danach und warf es auf den Fußboden.
    »Liebes, es ist heiß genug! Wir brauchen nichts zum Zudecken.« Nur sehr undeutlich sah sie seine Gestalt. Mit raschen Bewegungen zog er sich aus. »Ich habe deinen Pyjama
    auf den Toilettentisch gelegt«, sagte sie fast unhörbar.
    »Pyjama? Bei diesem Wetter? Ich weiß, in Gilly wäre es unvorstellbar, ohne Pyjama zu schlafen. Die würden schon beim bloßen Gedanken einen Schlaganfall bekommen. Aber wir sind hier in Dungloe! Hast du wirklich ein Nachthemd an?« »Ja.«
    »Dann zieh’s aus. Ist doch sowieso nur lästig, so ein Ding.« Rasch schlüpfte Meggie aus ihrem Nachthemd. Aus

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